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Abschnitt 43


An einem Sommertag, herrliches Wetter draußen. Sie träumte von einem Urlaub am Meer, faulenzen am Strand. Und wenn schon nicht der Strand von St. Tropez, dann wenigstens das Freibad von Nossbach, aber stattdessen ging sie widerstrebend zu ihrem Arbeitsplatz. Natürlich war kaum Betrieb an diesem Tag. Die Studenten und Studentinnen genossen natürlich die Sonne, auf den Wiesen im Unigelände, oder im Schwimmbad. Nur die richtig Arbeitsbesessenen kamen an solch einem Tag in die Unibibliothek. Natürlich auch die, die sich für eine Prüfung vorbereiten mußten. Gezwungenermaßen, so wie sie, kamen die. Langeweile, und von morgens ab berechnete sie, immer wieder, die noch verbleibende Zeit in Stunden und Minuten. Träumte vom Feierabend und bemittleidete sich selbst. Bestellte Bücher zur Theke, die Rückgaben wieder in die Regale zurück. Aschenputel. Wo blieb ihr Märchenprinz.

Plötzlich öffneten sich die eichenen Schwingtüren zum Saal und er trat ein: James Dean. Ihr Prinz. Er war noch nie in der Bibliothek gewesen, der wäre ihr bestimmt aufgefallen. Ausgerechnet heute kam er. Wenn sie wenigstens ihre Haare gewaschen hätte, wenn sie doch nur ein hübscheres Kleid angezogen hätte. Ausgerechnet jetzt war bei ihr wieder einer Schlange, nachdem die ganze Zeit kein Betrieb war. Simones Schlange war kürzer, wie immer. Wäre sie doch auch nur unfreundlicher gewesen, dann würden bei ihr auch nicht so viele warten. Der würde doch bestimmt zu Simone gehen. Er schaute sich lange um, Ausleihkarte in Händen. Er konnte noch nicht oft dagewesen sein.

Veras Schlange, er hatte Veras Schlange gewählt. Er hatte Simone betrachtet, hatte sie angeschaut und hatte sich dann doch für Vera entschieden, ihr Herz raste. Und dann war er verschwunden gewesen, in Mitten all der Trotzkis, Maos, Rosa Luxenburgs, und den vielen anderen aus dem reaktionären Lager. Schwarze Ledermäntel im Stil der zwanziger, natürlich nicht an diesem heißen Sommertag.

Dann war ihr James Dean in den Lesesaal gegangen. Felix hieß er. Felix Schmied. Sie hielt den Ausgang im Auge, aber da war ja leider noch der Nebenausgang. Wenn sie alle bedient hätte, könnte sie ja mal in den Lesesaal gehen. Ganz offiziell, um mal nach dem Rechten zu schauen. `Bücher nach Gebrauch unbedingt wieder zurückstellen!' hing über allen Tischen, aber für viele war es zwecklos. Wenn bloß nich wieder Simone ginge, immer drängelte sie sich vor, und sie gab immer nach. Simone benahm sich immer, als sei sie ihre Chefin. Irgendwie hatte sich das so vom Anfang eingeschliffen. Simone war es ja gewesen, die sie, die Neue eingeabeitet hatte, und sie hatte sich brav untergeordnet und dabei war es halt geblieben.

--,,Laß' mich. Ich wollte sowieso ...'', sagte sie und rannte an Simone vorbei, die schon auf dem Weg zum Lesesaal gewesen war. Ja, sie schob sie sogar ein wenig zur Seite, um besser an ihr vorbeizukommen. Nach ihrem Prinzen sehen, das wollte sie, aber was sollte sie Hildgegard sagen.

--,,...ich muß noch etwas nachschauen ...'' sagte Vera dann noch und ließ die verdutzt dreinschauende Simone zurück.

Verwundert hatte sie sich im Lesesaal umgeschaut, denn soviel Betrieb hatte sie dort nicht erwartet; es war doch ein ruhiger Tag gewesen. Fast alle Tische waren besetzt. Ganz am Ende, dort sitzt er, denkt sie, und sie rennt los, ohne überhaupt zu wissen, was sie sagen sollte, sagen könnte.

--,,Die Bücher -- ich meine -- hier auf dem Tisch --sie bringen die wieder -- ich meine -- nicht von jemand anderem, der sie nicht zurückgebracht hatte.'', stammelte sie.

--,,Keine Sorge, ich räume die schon wieder zurück!'', sagte der Student, den sie für Felix gehalten hatte, freundlich lächelnd und versank wieder in ihrer Lektüre.

Verdammt, dort an der Türe! Da huschte jemand raus, das war er gewesen! Statt direkt loszurennen hätte sie sich zuerst einmal genau umschauen sollen. Schnell zum Ausgang, vielleicht könnte sie ihn noch kriegen. Aber draußen war niemand mehr zu sehen, jedenfalls niemand der ihrem Felixbild ähnlich sah.

Vera, du spinnst, sagte sie sich immer wieder morgens vor dem Kleiderschrank, wenn sie ratlos vor ihren Kleidern stand, sich nicht entscheiden konnten, wenn ihr alles nicht gut genug war, nur die Blusen, die Röcke, die gerade bei der Wäsche waren. Vera, du hast einen Knall, tadelte sie sich, früh morgens, verschlafen und noch total müde. Du mußt total verrückt sein, versuchte sie sich jeden Morgen vergeblich, den Kopf wieder zurecht zu rücken. Was ihr aber nur gelang, war ihn von Schampoo zu befreien. Jeden morgen wusch sie ihn nun -- Wahnsinn -- seit ihr Prinz im Ausgabesaal aufgetaucht war. Das nächste Mal mußte sie vorbereitet sein, nicht nochmals mit fettigen Haaren hinter der Theke stehe. Allabendlich vorm Einschlafen wandelte Felix durch ihre Wachträume, ließ sie lange hin und her wälzen. Oder, was noch schlimmer ist, wenn sie es nicht schafft, ihn in der Buchausgabe erscheinen zu lassen. Wenn sie ihn mit geschlossenen Augen und schon völlig übermüdet versucht mit Blumen, manchmal rote Rosen, durch die Schwingtüren zu schicken, lächelnd, mit ausgebreitete Armen, ist sie nicht Herrin ihrer Phantasie. Weg mit Simone, aber sie ist da, skeptisch, und die Rosen sind weg, eine lange Reihe von Studenten wartet ungeduldig darauf endlich von ihr bedient zu werden. Und überhaupt denkt sie dann, beraubt ihrer Phantasie und im Banne der Ratio, warum sollte er nach so langer Zeit plötzlich mit Blumen auftauchen, und ihr seine Liebe gestehen. Wenn wäre er gleich am nächsten Tag, oder ein paar Tage später aufgetaucht, aber nach vielen Wochen. Er hatte sie nicht wahrgenommen, Personal, Bedienstete, keines Blickes gewürdigt, kein Objekt der Begierde. Gut, dann also keine Blumen! Aber was tun, wenn er kommt, wenn er seine Bücher auf den Tisch legt, und dann, was dann. Wie sein Interesse wecken? Wie ein Gespräch entfachen.

Sein Benutzerausweis. Eines Abends war die Idee geboren, und es blieb auch ihre bevorzugte. Ein abgewetzter, zerflädderter Ausweis, so als habe er ihn lange in der Hosentasche mit sich herumgetragen. Wenn er mal einen Moment Zeit hätte, würde sie ihm einen neuen Ausweis ausstellen, so würde sie ihn festhalten, damit er nicht nur seine Bücher ablegte und wieder und dann vielleicht für immer wegging. Das durfte nicht geschehen! Erst mal Zeit gewinnen mit dem neuen Ausweis, und es würde sich bestimmt was ergeben. Und im Schlaf, Träume, frei vom Joch der Vernunft, da waren sie zusammen. Einmal Banquet im Nebensaal, fürstlich gedeckt, dort wo sonst die alte Schreibmaschine steht, dort, wo sie seinen neuen Benutzterausweis tippen wollte. Nur sie beide im Kerzenschein und romantischer Musik. Sie tanzten und tanzten, immer leichter und enger, -- ,,Sie sollen ihre Arbeit machen, keine Studenten verführen!'', brüllte vor ihr der Direktor in hochrotem Kopf und Schlafanzug -- Simone hatte in extra aus seiner Nachtruhe reißen müssen. Hundert Arme im Halbkreis um sie, strecken ihre ausgefüllten Ausleihkarten und ihre Bücher Vera entgegen, schweigender Chor. Neben dem Direktor die entsetzt und eifrig dreinschauende Simone: ,,Arme unschuldige Studenten verführen, diese Schlampe!'' Oh Gott, und sie im Pyjama, in den Armen von Felix. Und ihr Vater neben Simone, vorwurfsvoll, in aufgedunsenem Gesicht stinkt nach Bier, ungekämmt, zerzaustes Haar. Wach, schweißgebadet, und dann wieder schlafend, liebkost von ihrem Traumfelix.

Felix, Felix, Felix, klingelte der Wecker jeden Morgen, seit seinem Auftauchen eine halbe Stunde eher wie normal, Zeit für die ausgiebigere Morgentoilette. Vera, komm' zur Vernunft, du hast ihn doch nur einmal gesehen, nicht mal richtig vorstellen konnte sie sich ihn. Was wäre wenn, dachte sie, während sie sich in eine enge Jeans zwängte, er eine Freundin -- warum nicht, die meisten, vor allem, die so toll aussehen wie der, haben doch eine. Oder wenn er schwul sei, dachte sie einmal im Bus, denn ein paar Sitze vor sich hatte sie jemanden gesehen, von dem sie wußte, daß er es war. Jeden morgen vor und im Bus filterte sie die Fahrgäste, hoffte sein Gesicht zu erspähen. Blödsinn, schwul konnte Felix nicht sein, das hätte sie gespürt. Er könnte schon verheiratet sein; es gab doch einige Studenten, die es waren. Warum hatte sie nur nicht genauer auf seine Finger geschaut, aber ein Ring wäre ihr sicher aufgefallen.



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