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Abschnitt 42


Da war also dieses Bild reingerutscht. Felix hatte damals fest behauptet, daß es gar kein solches Foto gäbe, sie würde es sich es nur einbilden. Felix zwischen Moni und Vera, seine Arme um die Schultern von beiden; Chris hatte die Regie geführt. Das erste Foto mit Chris' neuem Fotoapparat. Er hatte sie extra zum Tennisspiel mitgebracht, oder hatte er nur keine Zeit mehr gehabt, sie in seine Wohnung zu bringen. Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, hatte er sie vorher gekauft gehabt, und mußte sie unbedingt ausprobieren, war ganz wild drauf Fotos zu schießen, im grassen Gegensatz zu Moni und ihr. Sie hatten sich energisch aber vergeblich gewehrt. Schrecklich sähen sie doch wohl aus, ihre Haare ganz verschwitzt und zerzaust. Super war das Bild geworden, und die zerzausten Haare ließen sie bloß attraktiver ausschauen. Ein beachtlicher Anfangserfolg. Wenn Chris nicht gewesen wäre, ob sie Felix und sie jemals zusammengefunden hätten Rühmlich war es ja nicht gewesen für Felix.

Ganz schön jung war sie damals noch. Zehn Jahre, ja wirklich, so lange ist das schon her, denkt Vera. Blaß war sie gewesen. War ja auch kein Wunder, nirgendwo Fenster und immer diese gräßlichen Neonleuchten. Oh ja, die Beleuchtung, die hatte sie immer besonders gehaßt. Kopfweh hatte sie von diesem flackernden Licht immer bekommen. Ja, auch von der stickigen Luft, richtig staubig war sie gewesen. Monatelang, oft jahrelang hatten manche Exemplare rumgestanden, bis sie jemand wollte, und dann staubten sie. Entluden all der Dreck, den sie jahrelang auf den endlosen Regalen gefangen hatten, auf dem Weg zu ihrem neuen Leser, zu einem potentiellen Leser, denn viele Bücher wurden ja gar nicht gelesen. Mit ihrem von ihr sogenannten Zwanzig-Einundzwanzig-Test hatte sie es herausgefunden. Aus Spielerei, hatte sie damit begonnen, die Schnipsel mit dem Aufdruck der Ausleihfrist, konsequent zwischen die zwanzigste und einundzwanzigste Seite zu schieben. Sie hatte diese Seitenzahlen gewählt, weil es ihrem Alter entsprochen hatte. Obwohl sie es ja vermutet hatte, war sie dennoch erstaunt gewesen, wieviele Bücher genau so wieder zurückkamen, also mit dem Lesezeichen zwischen den besagten Seiten. Für sie war es ein untrügerisches Zeichen dafür, daß das Buch nicht gelesen worden war, ja möglicherweise noch nicht einmal durchgeblättert worden war. Aber auch wenn der Schnipsel nicht mehr drinn war oder auf einer anderen Seite, war dies keineswegs eine Entlastung für die zurückgebende Person in Veras Augen. Vor allem, weil sich Simone und die anderen nicht an ihre Taktik hielten. Oder beim Kopieren konnte es herausgefallen sein. Ständig waren sie am Kopieren. Sie kopierten in der meist wohl trügerischen Hoffnung, später mal zum Lesen zu kommen. `Besser kopiert als gar nicht gelesen!', scherzten Vera, Simone und die anderen immer wieder. Die Studenten und Studentinnen liehen viel mehr Bücher aus, als sie überhaupt lesen können, dessen war sie sich schon immer sicher gewesen.

Bei der KMG hatte sich Simone ja auch nicht gebessert. Sie war immer noch das alte Reibeisen. Braggard hatte es nicht leicht mit ihr, aber sie arbeitete ordeentlich. Er konnte sich immer voll auf sie verlassen. Mit ihr als Sekretärin würde er garantiert keinen Termin verpassen. Er konnte sich darauf verlassen, daß bei einer Dienstreise morgens zur vereinbarten Zeit ein Taxi vor seiner Türe stehen würde, um ihn zum Flugplatz zu bringen. Aber ihr Preis war halt ihre Kantigkeit. Die Studenten hatten sich richtig gefürchtet vor ihr. Große Töne gaben die von sich, die Welt verändern wollen, aber vor ihrem und nicht vor Simones Schalter drängelten sie sich. Kein Wunder, daß Veras Schlange immer die längste gewesen, wenn Simone neben ihr war! `Wenn sie mir jetzt auch noch sagen könnten, was das Gekritzel auf ihrem Zettel bedeutet, kann ich ihre Bestellung weiterleiten'. Und das war ja noch die freundlichere Variante. `Muß man heutzutage nicht mehr Schreiben lernen, um das Abitur zu machen!'



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