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Abschnitt 4


Wenn Heinz jetzt stirbt, oh Gott, immerhin war er ja auch schon ziemlich alt. Nicht so alt, wie er plötzlich aussieht, neben ihr, mit kreideweißem Gesicht. Eigentlich wußte sie gar nicht genau wie alt er genau war, irgendwo so zwischen 55 und 60. Gleichaltrig mit Dr. Malter, aber Malter wirkt viel jünger. Sein aufgedunsenes Gesicht war halt faltenlos. Die Beifahrertüre ist offen, damit genügend frische Luft hineinkommt. Kühle Luft, es fröstelt sie. Sie sind alleine auf dem Rastplatz neben der Bundesstraße. Gott-sei-Dank war es vor diesem Parkplatz passiert ein paar hundert Meter weiter, und sie hätte gar nicht mehr halten können.

--,,Frau Sinistra, sie sind doch mit dem Wagen da?'', hatte Braggard sie in ihrem Büro gefragt. Ob sie nicht Dr. Wiedenkamp heimfahren könnte, dem ginge es überhaupt nicht gut. Hätte sich mit dieser schrecklichen Grippe noch zur Arbeit geschleppt.

Die schlechte Lage der KMG und damit zusammenhängend auch Braggards waren ihr durch den Kopf gegangen. Ansonsten hatte sich aufs Autofahren konzentriert. Nie sich ablenken lassen, weder von schöner Landschaft, noch von Mitfahrenden, daß war ihre Maxime seit ihrem Unfall. Kein schlimmer Unfall war es gewesen, aber es war teuer genug gewesen, und sie hatte Phantasie genug sich auszumalen was gewesen wäre, wenn sie schneller gefahren wäre, oder wenn sie statt dem vor ihr fahrenden Fahrzeug aufzufahren auf die Gegenfahrbahn gekommen wäre. Alles war nur passiert, weil sie für wenige Augenblicke mit den Einstellknöpfen ihres Autoradios beschäftigt gewesen war, um einen anderen Sender zu suchen.

Die ganze Zeit hatte sie auf Dr. Wiedenkamp eingeredet, hatte ihm ihre Sicht der Firma geschildert und gar nicht gemerkt, daß seine Antworten immer knapper und rarer wurden. Sie könnten ihn doch nicht dafür verantwortlich machen, hatte Raffaella des öfteren gesagt. Mit `ihn' war ihr Chef gemeint, Braggard. Nicht so einfach war es mit dem `Sie' oder auch `die'. Damit sind die gemeint, die das Sagen haben. Wohl in erster Linie Mohler, aber auch Sonntag. Ansonsten steht `sie' natürlich auch für diesen nebulosen Personenkreis, anonym und unsichtbar, dessen man nicht habhaft werden kann, der Schuld ist für Fehlentwicklungen, dem man übermächtig gegenübersteht, dem man sich beugen muß und gegenüber dem sich zu wehren ein Kampf gegen Windmühlen wäre. Ein Abstruktum, welches sich sowohl zum Feindbild als auch zum Sündenbock eignet. Damit sich Frustration, Zorn, Wut oder Empörung nicht an realen Personen zu entladen braucht, wenn durch krasse Fehlentscheidungen unerfüllbare Kundenwünsche zu Vertragsbestandteile geworden sind, wenn Überstunden zur Unzeit erbracht werden müssen oder wenn gar Urlaub gestrichen wird. So konnte man nahezu beliebig kritisieren und schimpfen, und wenn es kritisch wurde, das heißt, wenn einer der Chefs sich mit dieser anonymen Masse identifizierte, konnte man sich ja immer noch rauswinden, konnte beteuern, daß man ihn oder sie nicht gemeint habe. Alle, selbst die Chefs gebrauchten diese unspezifischen Formen. Nur die oberste Führungsschicht, Mohler und die Direktoren, benutzten sie selten, für sie war der Pluralis Majestatis, das päpstliche Wir vorbehalten. Sagten sie `die' oder `sie', dann meinten sie die namenlose Klientel oder Zwänge innerhalb der Firma, denen auch sie sich nicht entziehen können.

Noch hatte sie keine offizielle Kritik an Braggard gehört, aber was hieß das schon bei einem Gegner, der im Verborgenen agierte. `Sie' würden einen Schuldigen brauchen, hatte sie zu Wiedenkamp gesagt, und Braggard wäre das geeignete Opfer. Ein Jahr lang hatte er doch den Kostendämpfungsprozess geleitet und nun wollten die Erfolge sehen. Die -- sie dachte wohl an Sonntag und Mohler -- würden nun sagen, daß Braggards Ansatz gescheitert sei, daß KDP sich als ein gigantischer Flop herausgestellt habe.

--,,Das würden sie nie so zugeben. Das wäre ein Bumerang, der auf sie selbst zurückflöge. Da kommt eher sowas wie, `Für die konsequente Umsetzung für KDP braucht es noch ...', hatte Wiedenkamp ihr wiedersprochen.

Das grenze schon an Naivität, wenn Braggard immer alles so optimistisch sähe. Da konnte sie Heinz nur zustimmen. Selbst in der jetzigen Situation verlasse Braggard nicht sein Optimusmus. Er würde denen schon die wahren Ursachen aufzeigen können, hatte Braggard gemeint, als sie ihm die Grafiken und Tabellen zeigte, die die schlechte Lage ungeschminkt wiedergaben.

--,,Sehr schön haben Sie das wieder gemacht!'', hatte Braggard Raffaella gelobt, als sie ihm den Foliensatz gebracht hatte. ,,Aber wir müssen das trotzdem noch etwas überarbeiten!'', hatte er dann hinzugefügt.

Überarbeiten, das hieß Schminken und Vertuschen, denn so könne er ihr Material nicht zur Direktionspräsentation verwenden. Tagelang war Braggard dann damit beschäftigt, und damit auch Raffaella. Sie war es, die für ihn den richtigen Blickwinkel finden mußte. Umstellung von linearer in logarithmische Darstellung, wie zum Beisoiel bei der Kostenfunktion über die letzten Jahre. Die prozentualen Gewinnzuwächse und Verluste anders Normieren, die Ertragskurve nur im oberen Bereich darstellen. So brauchte er nur wenig an den Zahlen selbst zu manipulieren. Die Abschreibungen für die neuen Computer seien viel zu hoch angesetzt, hatte Braggard gemeint, dadurch gingen die Kosten zu hoch. Jetzt waren sie viel zu niedrig gelegt, unter dem, was das Stuergesetz erlaubte, aber es war ja nur auf den Folien, nicht in der Bilanz.

--,,Bei der Darstellung der Kosten entsteht ja der ganz falsche Eindruck! Das sieht ja so aus, als würden die Kosten in den nächsten Jahren weiterhin dramatisch steigen! ...''

Sie habe eine kubische Parabel verwendet, um die Kosten zu approximieren. Dann solle sie doch halt mal eine andere Parabel verwenden, wo sich für die nächsten Jahre ein günstigeres Bild ergibt. Sicherlich könnte man doch eine finden, die sogar auch sinkende Kosten zeigt. Die Kosten würden doch auch sinken, davon gehe er aus. Hätte er doch mit KDP nachgewiesen. Wunschverläufe hatte sie für ihn angefertigt, und er tat so, als handele es sich um mathematische Berechnungen.

--,,Das eigentliche Problem sind doch nicht die Kurvenverläufe in der Zukunft, das ist eh nur eine mathematische Spielerei. Das Problem sei doch, das die Kosten anscheinend trotz KPD gestiegen sind und das ganze noch bei fallender Auftragslage.''

--,,Scheinbar! Nur scheinbar sind die Kosten trotz KDP gestiegen. Wir müssen nun klarmachen, wo die eigentlichen Ursachen liegen!'', sagte Braggard.

Und außerdem nähmen Mohler und Sonntag solche Kurven keineswegs nur als mathematische Spielereien, die nähmen das ernst. Raffaella spürte, daß auch er sie ernst nahm, und sie nicht um seine Manipulationen herumkäme. Die Auftragslage habe sich doch erst nach den schlechten Presseberichten über ihren Kostendämpfungsprozess verschlechtert. Die Journalisten hätten es sich zu einfach gemacht: Die KMG mußte in Schwierigkeiten sein, sonst würde sie nicht so eine Maßnahme starten. Die hätten sich noch nicht einmal mit seinen Ideen auseinandergesetzt.

All dies hat sie Wiedenkamp im Wagen erzählt und ihm war total elend gewesen.

--,,Tut mir leid!'', sagte sie zu Dr. Wiedenkamp, als sie merkte, daß er wieder etwas ruhiger atmete.

--,,Weil ich krank bin?'', sagte er, und zwei fieberglänzende Augen schauten sie voller Wärme und Sorge an.

--,,Nein, ...doch auch, aber ich meine, weil ich dich die ganze Zeit noch mit meinen Problemen vollgequatscht habe. Ich hatte nicht bemerkt, daß es dir so schlecht geht!''

--,,Nana, nun übertreibe mal nicht, ich bin ja nicht am Sterben!'', sagte er und schaute sie voller Wärme mit seinen fieberglänzenden Augen an.

Sie liebte dieses Lachen, sie liebte ihn.



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