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Abschnitt 54


Ganz unten, am unteren Rand des wilden Geflechtes, genannt Hierarchie, hängt Dr. Wiedenkamp. Oder auch ganz außen, oben, ein Blatt im Baum der Hörigkeiten, der mit Herrn Mohler als Wurzel beginnt. Im Herbst fallen die Blätter, und bei der KMG war im Schnitt alle 10 Jahre die Zeit des fallenden Laubes, aber Dr. Wiedenkamp, der erst ein Sommerende in der Firma mitgemacht hatte, war davon ausgenommen, denn seine fachliche Kompetenz stand außer Frage. Er war tabu, wer sollte denn sonst seine Arbeit machen. Aber trotz allem, hatte er keine Karriere gemacht. Er war es, der es nicht wollte, der jegliche Beförderungsversuche teilweise sogar mit hohem Aufwand unterbunden hatte. Ansonsten hätte die Automatismen der Firma automatisch auf die Stufe seiner Unfähigkeit befördert.

Die KMG brauchte ihn immer noch, wenn auch immer mehr jüngere Manager, dies nicht mehr so ohne Weiteres einsehen wollten. Aber er fürchtete sich nicht: Ihm konnten sie aus viellerei Hinsicht nichts mehr anhaben. Er ist alt genug, um jederzeit in Frührente zu gehen, andere in seinem Alter waren schon lange vorher von der Firma meist erfolgreich bedrängt oder gezwungen worden diesen Schritt zu tun. Durch seinen spartanischen Lebenstil mußte er sicherlich genug Geld gespart haben, um die letzten Jahre seines Lebens ohne Arbeit überbrücken zu können. Er selbst hatte es ja auch schon mehrfach erwähnt, daß er finanziell bei einer Frühpensionierung keine Probleme hätte. Es gäbe ihm ja auch die Gelegenheit endlich mit voller Kraft an den Übersetzungen der Shakespearedramen weiterarbeiten. Nein, an ihm lag es nicht, er war bereit, aber die Firma, oder besser sein Chef und alle die in seinem Umfeld arbeiteten, und dadurch wußten, wie abhängig die Firma immer noch von seinem Wissen war, zitterten davor, daß er diese Option wählen könnte. Obwohl sie es schon seit Jahren wollten, war es ihnen nicht gelungen einen adequaten Nachfolger zu finden, oder zumindest auch andere in seine vielfältige Software einzuarbeiten. Er hatte immer nur das bearbeitet, wovor sich die meisten anderen gefürchtet hatten, was viele gemieden hatten, weil sie es nicht verstanden hatten und nun wollte erst recht niemand mehr mit seiner schwer verständlichen Software zu schaffen haben.

Dr. Wiedenkamp hatte von Anfang an versucht, die kontinuierlich während Herrn Sonntags Rede in ihm aufsteigende Wut zu bekämpfen, sie nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, aber als Sonntag behauptete, daß dieser Prozeß von der Basis ausging, merkte er, daß seine Bemühungen vergeblich vergeblich waren, daß er den Kampf verloren hatte. Bei Sonntags Hohenlied auf das Outsourcing und die Konzentration auf das opertative Kerngeschäft, konnte er sich nur noch mit Mühe beherrschen, ihn nicht schon mitten in der Rede zu unterbrechen. Galant lächelnd hatte ihm der schöne Sonntag, der sich noch ihm Bewußtsein wieder einen perfekten Vortrag gehalten zu haben suhlte, das Wort erteilt.

--,,Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen heute mal meinen Mund zu halten, aber, was ich eben gehöhrt habe ... mit welcher Unverfrorenheit hier geheuchelt wird ... da kann ich nicht schweigen ... nichts haben wir bisher erfahren ... heute sollten wir doch erst erfahren, was man sich ausgeheckt hat und jetzt tun sie so, als stamme alles von uns ... oder ist meine Vorständnis von Basis falsch ... und was heißt hier motivierte Mitabeiterschaft? ... was sie sich wünschen sind doch Roboter, die ohne Wiederrede perfekt ihre Arbeit verrichten ... nein, eigentlich wollen sie ja hier überhaupt keine Arbeitskräfte haben ... hier sollen nur noch solche ... wie ihresgleichen sitzen und den Rest den sourcen sie ... wie sagt man jetzt in ihrem schönen Neudeutsch `out' oder `aus' ... ja ich weiß, es gibt ganz tolle Informatiker und Mathematiker in Indien ... aber dann muß auch jemand in der Lage sein die Qualifizierten auszuwählen und sich nicht in die Hände von Scharlatanen zu begeben ... haben sie sich schon mal den Mist angeschaut, den sie für das Telcal-Projekt dort anfertigen ließen ... Ist ihnen eigentlich klar, daß wir hier nahezu die ganze Software wieder neuschreiben mußten ... aber von unseren Managern höre ich nur, wenn sie gerade wieder von einer Lustreise zurückkommen, das es `fruchtbare', `kreative', `konstruktive' und was weiß ich für tolle Meetings gegeben habe ... '', hier verschnaufte er kurz, aber nicht lange genug, um Herrn Sonntag eine Chance zu geben einzuspringen, ,,ich bin nicht gegen Outsourcing, aber bisher hat man halt die falschen Arbeiten weggeben, man sollte unsere Manager nach Indien, oder vielleicht am besten auf den Mond verlagern ... ich habe das Gefühl, daß ich hier nur meine Zeit vergeude ... ich hätte Wichtigeres zu tun ... ''

Äußerlich völlig unbeeindruckt prasselte dieser Gefühlsausbruch an Herrn Sonntag ab, denn er hielt diese Reaktion wohl für einen Einzelfall, glaubte immer noch die Masse hinter sich zu haben. Aber als dann tosender Applaus einsetzte, sprang er entsetzt von seinem Stuhl auf, schaute sich hilfesuchend und gehetzt nach Felix und Frau Weber um. Frau Weber wirkte sichtlich erheitert, und er konnte sich wohl auch nicht sicher sein, ob ihre Sympathien auf Seiten von Wiedenkamp waren, und Felix rächte sich nun, indem er gleichgültig, so als wäre nichts Schlimmes gesagt worden, vor sich hin starrte. Sonntag, der immer so beherrscht wirkte, eerschien plötzlich unberechenbar, würde er jetzt plótzlich explodieren, losschreien, oder gar handgreiflich werden, oder würde er weinend den Saal verlassen, alles schien möglich. Aber nur einen kurzen Augenblick, dann schüttelte er kurz seinen Kopf, und zauberte wieder ein Staubsaugervertreterlächeln hervor.

--,,Ich glaube, es ist hier wohl der falsche Ort, eine solche Diskussion fortzuführen. Ich habe das Gefühl, daß sich bei ihnen'', hier tat er wohl bewußt so, als hätte es nie den tobenden Applaus des Saales gegeben, ,,einige schwerwiegenden Mißverständnisse aufgebaut haben. Ich denke, wir sollten uns mal in Ruhe darüber unterhalten, ... sie sollten mal einen Termin mit meiner Sekretärin ausmachen!''

Aus dem Zuhörerkreis schallte eine Stimme unter zustimmendem Gemurmel von vielen anderen: ,,Eigentlich dachte ich, daß es bei dieser Veranstaltung darum ging unsere Meinung zu erfahren, stattdessen werden wir hier mit Propaganda vollgestopft.

Felix glaubte nun, daß er in die Diskussion moderierend eingreifen sollte.

--,,Eine lebhafte Diskussion ist ja genau das, was ich mir gewünscht habe, aber wir sollten uns bemühen konstruktiv zu bleiben, und vor allen Dingen nicht persönlich zu werden!''

--,,Also ich hätte eine ganze Reihe von Fragen. ... Erstens: Warum wurde der Betriebsrat nicht von dieser Veranstaltung informiert? Dann ... Ist mein Eindruck richtig, daß der Ablauf von TQM bereits festgelegt ist, und diese Veranstaltung nur einen Alibicharakter hat. ... Wenn ich von Kostensenkungen in der von ihnen genannten Größenordnung höre, habe ich immer Angst, daß sie auch an Personalabbau denken könnten. ... '', begann Herr Berger und an dieser Stelle wirkte es, als wollte er lediglich eine Pause machen, aber Felix nutzte die Gelegenheit dazu, ihn zu unterbrechen.

--,,Also zunächst einmal zu ihrer zweiten Frage: In TQM ist noch alles offen. Was sie alleine schon aus der Tatsache ersehen können, daß die Durchführungsphase erst in sechs Monaten beginnen soll. Sie können also sicher sein, daß ihre Kritik und Vorschläge einfließen werden. Gibt es noch weitere Fragen''

Felix schaut sich im Zuhörerkreis um, und vermeidet es Herrn Berger anzuschauen, und hofft dadurch um die Beantwortung der beiden unangenehmen Fragen zu kommen. Aber Berger wehrt sich sofort und macht ihn darauf aufmerksam, daß noch zwei Fragen unbeantwortet sein.

--,,Es handelt sich ja hier nicht um eine offizielle Betriebsversammlung. Vielmehr sind sie alle hier rein statistisch repräsentativ ausgewählt worden. ... ''

--,,Wenn die Ziehung der Lottozahlen in Zukunft nach den gleichen statistischen Methoden erfolgen würde, dann könnte man sie schon am Tage vor der Ziehung veröffentlichen!'', unterbrach ihn jemand, und im Saal brach allgemeines Gelächter aus.

Felix war irritiert, vor allem auch deshalb, weil er ihm in gewisser Weise recht geben mußte, aber er verteidigte sich weiter:

--,,Leider gab es einige betriebsbedingten Korrekturen, weil aus welchen Gründen auch immer einige nicht hätten teilnehmen können.

--,,Zum Beispiel mußte man die gewerkschaftlich organisierten Leute, die zufällig auf die Liste gerutscht sind, wieder entfernen!'', bemerkte Herr Berger sarkastisch.

--,,Aber wenn ich richtig informiert bin, ... sind doch auch sie Mitglied des Betriebsrates und sie sind ja auch hier ... '', Felix schaut Frau Weber hilfe- und bestätigunssuchend an.

--,,Ja, ich bin hier, aber ohne offizielle Einladung! ... Wird es Entlassungen geben, um die Kosten zu senken?''

--,,Am besten zeige ich ihnen hierzu ein paar Folien, dann werden sie es besser verstehen können!''

Felix eilt wieder zum Projektor, den Herr Berger nicht abgestellt hatte. In viele bunte Folien, die Herr Berger zum Teil auch gezeigt hatte, erläutert er dann, daß sie neue Geschäftsfelder gewinnen müßten, lukrative Märkte erobern müßten. Dies binde dann nicht nur die vorhandenen Arbeitskräfte, sondern schüfe noch viele neue. Aber er gab keine Beispiele, wo diese lukrativen Markte seien oder an welche neuen Geschäftsfelder er denke. Marktführer werden, und dort, wo sie es schon seien, müßten sie ihren Vorsprung ausbauen. Niemand konnte dagegen ernsthaft etwas einwänden, aber wie wollte er dieses Ziel verfolgen, dazu gab es keine Folie.

--,,Und wenn uns das nicht gelingt?'', wandte Herr Berger ein.

--,,Das darf nicht passieren! Hier brauchen wir alle. Wir alle müssen hart an der Verwirklichung unserer Ziele arbeiten. Wir müssen ein Unternehmen mit vielen kleinen Unternehmern werden. Jeder ist selbst ein Unternehmer!''

Damit hatte er, ohne das er es darauf abgezielt hatte, Dr. Wiedenkamp wieder aktiviert, der wohl schon die ganze Zeit auf eine günstige Gelegenheit lauerte.

--,,Davon sind wir ja nicht mehr weit entfernt. Es wimmelt ja nur noch so von Managern, die mit ihren Handies herumlaufen, und meist gar nichts so richtig zu tun haben. Aber wer arbeitet am Schluß noch? Aber Arbeiten, ich meine richtig konstruktiv und kreativ arbeiten, das ist ja nichts wert hier in dieser Firma. Was wir brauchen, ist eine Neubewertung der Tätigkeiten. Solange Managen immer mehr gilt als andere Arbeiten ... werden sie keine deutliche Verbesserung erzielen. ... ich denke nicht nur ans Geld, auch ans Ansehen ... zum Beispiel bei uns ein Entwickler kann die tollsten Arbeiten machen, ... aber dafür gibts kein Lob, keine Ehre und letztendlich auch nicht mehr Geld. Lob und Ehre ... und natürlich später auch die Gehaltserhöhungen ernten immer die Vorgesetzten oder Projektleiter ... ist ja dann auch irgenwie verständlich, daß immer mehr in diese Positionen streben ... wenn zwei Leute an einer Sache arbeiten, wird ihnen sofort ein Leiter vorgesetzt, der natürlich nicht mehr selbst Hand anlegt ... den paar hier im Raum, die noch Latein hatten, dürfte es noch klar sein, daß in `Manager' das Wort `manus', also Hand, steckt ... aber wenn, was nicht so klappt, wie sie es sich auf ihren schönen Farbfolien vorstellen, dann erinnern sie sich plötzlich, wer eigentlich die Arbeit macht.''

--,,Ja wollten sie denn gerne meine Arbeit machen?'', wird er in reichlich überheblichen Ton von Herrn Sonntag gefragt.

--,,Nein, wollte ich natürlich nicht ... '', während Dr. Wiedenkamp dies sagt wird Sonntags Lächeln noch breiter, um dann im folgenden in ein wutverzerrtes Grinsen zu münden ,,aber sie könnten meine Arbeit nicht verrichten, selbst wenn sie wollten!''

--,,Ich denke auf diesem Niveau sollten wir nicht weiterdiskutieren ... außerdem muß ich jetzt leider sowieso gehen, denn ich werde noch in einer anderen Besprechung erwartet!''



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