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Abschnitt 39


All die Leute von denen man unbedingt will, daß man einen guten Eindruck auf sie macht, möglichst den Besten, in der Kindheit die Lehrer, später dann Offiziere, Professoren, Chefs oder andere Würdenträger. Und dann die vielen anderen, von den es einem völlig schnuppe ist, was sie von einem halten. Schnuppe sein könnten, dachte Felix, aber es nicht immer sind, denn da waren doch Leute wie Wiedenkamp, von denen er nicht wollte, daß sie ihn nicht mochten, obwohl er keineswegs von diesen in irgendeiner Weise abhängig war. In Wiedenkamps Fall war es ja auch eindeutig: Wiedenkamp könnte ihm einerlei sein, er war kein Vorgestzter von ihm, er war noch nicht einmal eine mächtige Person in der Frimenhierarchie, er mußte nicht einmal direkt mit ihm zusammenarbeiten, aber dennoch war es nicht so. Die ganze Zeit hatte Felix zwar geglaubt, daß ihn dessen abweisendes Gebaren nicht störe, aber nun, gewissermaßen auf einen Schlag, war ihm klar geworden, daß ihm Wiedenkamp nicht egal war. Jetzt, wo Wiedenkamp seine feindselige Haltung aufgegeben hatte. Wiedenkamp hatte ihn zu sehr in Malters Ecke gesehen, zählte ihn zum gegnerischen Lager. Wiedenkamps Haß und Verachtung für Malter war auch auf Felix übergeschwappt. Wohingegen Felix Wiedenkamp von Anfang an -- wenn auch auf eine bizarre Art sympathisch gefunden hatte, obwohl er es rational nicht begründen konnte. Wenn Wiedenkamp ihn mit barschen Antworten abspeiste, wenn er ihn mit Sarkasmus behandelte, selbst wenn er über ihn zu spötteln schien, Felix war ihm nie richtig böse, verzieh ihm, wie er es sonst kaum machen würde. Er konnte es nicht verstehen, aber er erkannte auch, daß es anderen genauso ging. Selbst gegenüber Mohler blieb Wiedenkamp sich selbst treu, machte keine faulen Kompromisse und sparte auch dort nicht mit bissigen Kommentaren, und Mohler schien es zu akzeptieren, wie ein braver Sohn die Schelte vom Vater. Felix mochte ihn, obwohl er sich immer ein wenig unwohl fühlte in dessen Gegenwart. Wiedenkamp war immer in Angriffsposition. Häufig kam es ihm so vor, als versuche er ihn bloß zu stellen, trachtete danach ihm zu zeigen, wie sehr Felix ihm intellektuell unterlegen sei. Was Felix am wenigsten verkraften konnte, war, daß er sich in diese Rolle hatte drängen lassen. Mehrmals hatte er sich wie ein unmündiger Schuljunge in seiner Gegenwart gefühlt.

Das eigentliche Wunder des Abends, dachte Felix im Felsenkeller, nachdem fast alle Gäste gegangen waren, lag in Wiedenkamps Wandlung. Freundlich, kein Kräftemessen, und nichts zu spüren von Aggression oder Haß. Wiedenkamp benahm sich so, als säße er mit einem alten Freund zusammen.

--,,Das habe ich bisher kaum jemandem erzählt! Brauchte ja niemand zu wissen!'', sagte Wiedenkamp.

--,,Sie können sich auf mich verlassen, von mir wird niemand etwas erfahren!'', versicherte ihm Felix.

--,,Ist schon recht. Wenn mir wirklich dran gelegen wäre, daß niemand etwas erführe, hätte ich es ihnen auch nicht erzählt!''

--,,Das heißt Sie vertrauen mir nicht?'', fragte Felix, den die letzte Bemerkung von Wiedenkamp sichtlich irritiert hatte.

--,,Nicht mehr oder weniger als anderen Menschen!''

Alle wußten, daß er vor fast fünfzehn Jahren aus der DDR in den Westen gekommen war, aber so wie es Wiedenkamp darstellte, wußte kaum jemand um die Umstände. All die vielen Gerüchte, die sich um sein jahreslanges Schweigen rankten, störten ihn nicht. Ausgewiesener oder Flüchtling, abenteuerliche Flucht, manche meinten sogar, daß er möglicherweise sogar kriminell, sogar im Sinne des freien Westens gewesen sein könnte. Warum sonst schwieg er so konsequent?

--,,Malter war mein bester Freund gewesen. Wir hatten zusammen studiert gehabt. Unzertrennlich waren wir gewesen, ...''

Schwul, sollte dieses Gerücht doch stimmen, schoß es Felix durch den Kopf.

--,,Nächtelang haben wir zusammen bei klirrender Kälte mit unserem selbstgebauten Teleskop den Sternenhimmel betrachtet. Herrlich war das, auch das drumrum. Draußen in der Nacht bei sternklarem Himmel -- muß es ja sein, klar -- auf freiem Feld oder auf irgendeiner Anhöhe. Die Stille und die Einsamkeit. Tieschürfende Gespräche. Das verbindet. Bis dann Ute kam -- ne ne, hat nichts geändert, er gehörte richtig zur Familie. Er wurde sogar Pate von Jens -- ich habe ihn taufen lassen, war mir egal was die Genossen dachten. -- aber Ute war auch immer ein wenig eifersüchtig auf ihn ... ''

--,,Oh, sie haben einen Sohn -- ich wußte gar nicht ...''

--,,Zwei. -- Söhne meine ich und eine Tochter ...'', sagte er, und seinen Gesicht nahm einen leidenden Gesichtsausdruck an. ,,es gab kaum einen Sonntag, wo er nicht zum Essen da war, abends spielte er sogar des öfteren den Babysitter für unsere Kinder ''

War Malter eifersüchtig gewesen, daß er nicht mehr die Nummer eins war bei seinem Freund Heinz, denn Ute und die Kinder kamen nun an erster Stelle. So hatte Wiedenkamp Felix das jedenfalls dargestellt. Vorbei war das Philosophieren unter Sternenzelt, Malter vermißte es wohl, aber Wiedenkamp genoß seine Familie. Außerdem waren da auch noch die neuen Freunde, die von Ute.

Alle, wie sie aus Dresden, gemeinsames Studium und wie Ute politisch aktiv, zuerst im Sinne der Macht, dann enttäuscht, abtrünnig.

--,,Uns -- also Malter und mir -- war das ganze politische Gesabbere immer völlig schnuppe gewesen, wir haben studiert und hatten unsere Sterne.'', sagte Wiedenkamp, nachdem er den letzten Schluck aus seinem Weinglas geschlürft hatte.

--,,Ute mochte es nicht, daß Wolfgang mit ihren Freunden zusammenkäme. Sie mißtraute ihm, und Malter spürte es wohl auch!''

Die Bedienung war gekommen, weil Felix ihr gewunken hatte, und hatte seine Bestellung für ein weiteres Pils und einen Riesling entgegengenommen und beim Weggehen hörte sie Wiedenkamps:

--,,Ich hätte ihn nie mitnehmen sollen. Das war mein größter Fehler. Aber nachher ist man immer klüger!''



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