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Abschnitt 37


Endlich, jetzt mußten sie nur noch die Schlafanzüge anziehen, dann wären sie fertig fürs Bett. Lange hatte sie machtlos dem wilden Treiben der Kinder zugeschaut. Sie hatten gespürt, daß es ihr an diesem Abend an der nötigen Strenge fehlen würde und nutzten es rigoros aus. Erst als sie zu streiten angefangen hatten, hatte sich Vera zusammengerissen. Schlafanzüge anziehen war ja kein Problem mehr, dann könnte sie ihnen vorlesen. Sie freute sich darauf, es würde sie ablenken und entspannen, und das war es, was sie dringend brauchte, denn es mußte ihr gelingen das Krankenhaus zu vergessen, ihre Gedanken durften nicht mehr durch die Intensivstation kreisen. Sie mußte dringend ausschlafen diese Nacht; sie wollte sich nicht schon wieder mit Alpträumen im Bett wälzen.

Nicht schon wieder dieses blöde Rädchen. Welche Einstelllung war die richtige 77, 78 oder noch viel mehr. 77? Linke Seite, rechte Seite, zu heiß. Tiefer, dreh das Rad tiefer, versuch's mal mit 70 oder so. Hand unter den Kopf, drückt, weg. Mal war sie selbst Krankenschwester, mal Vera die Besucherin, aber immer war da die Hilflosigkeit. Niemand war außer ihr da, ganz alleine. 81 oder 82? Die Patientin hatte vorher noch gesprochen, wenn sie nur die richtige Einstellung wüßte und alles wäre wieder in Ordnung. Halb eins, zehn Minuten nach eins, zwei Uhr, ewig und dann doch irgendwann viertel vor vier. Hallo hört mich denn niemand, welche Einstellung ist die richtige. Alma, ja, da ist Alma, aber die füllt ellenlange Listen aus, hört nichts Hallo Alma, hatte sie gerufen, vielleicht gegen viertel vor Fünf, ist 87 zu viel? Soweit sei sie noch nicht, sie sehe doch welche Berge von Papier sie noch zu bearbeiten haben und dann noch: Ja, ja, mein Kind, wird alles wieder gut. Alles wird wieder gut.

Sollte sie lieber diese Nacht eine Beruhigungstablette oder Schlaftablette nehmen? So eine schlimme Nacht wollte sie nicht wieder durchmachen. Wann würde Felix kommen? Es war ja schon wieder beinahe Acht Uhr. Hat wieder nichts gefruchtet, dachte sie enttäuscht. Hatte sie sich ja gleich gedacht. Es werde nicht so spät, hatte er ihr beteuert. Machte er das extra? Kam er absichtlich später nach Hause, um nicht mit ihren Problemen konfrontiert zu werden. Am Telefon wollte er ja auch nichts wissen.

Mit ihrem ,,Mama, können wir noch ein wenig Peter Pan schauen?'' riß Vanessa Vera aus ihrer Versenkung.

--,,Kommt nicht in Frage! Dafür ist es viel zu spät. Aber wenn ihr jetzt schnell und ohne Murren den Schlafanzug anzieht, erzähl ich euch noch ein wenig vorm Einschlafen!''

--,,Oh ja ... Von der kleinen Hexe im Zauberwald?'', fragt sie Markus voller Begeisterung.

--,,Aber ich will Peter Pan kucken!'', protestiert Vanessa.

--,,Kein Fernsehen! Entweder Lesen oder gar nichts!''

`Lesen, lesen' rufen beide dann ohne Unterlaß, denn sie kannten ihre Mutter zu genau, um zu wissen, wann es sinnvoll war weiter zu feilschen.

Wenige Minuten sitzt ihre Mutter mit offenem Buch auf dem Bettrand sitzt. Die Kinder kuscheln sich unter ihren Federbetten.

--,,Wo waren wir eigentlich stehen geblieben ... ach ja ... Manchmal fühlte sie sich einsam, sie wäre dann sogar gerne bei anderen Hexen, obwohl diese nie nett zu ihr waren. Aber die waren fern von ihr, zwar auch im Wald, aber sie wußte nicht wo. Schon oft hatte sie sie gesucht, aber sie hielten sich fern von ihr. Sie wollten nichts mit Sarah der allzu menschlichen Hexe zu tun haben.

Es war klar dachte sie eines Tages, an dem wieder kein Wind ging, und sie sich einsamer als je zuvor fühlte, sie müsse werden wie sie. Nur einer konnte ihr sagen, was sie tun mußte, um es zu erreichen: Gestern und Morgen ist Heute für Jestertom, das Wesen mit den Armen wie Schlangen, sieben insgesamt. Vier von ihnen dienten zum Laufen, und drei zum Sehen, Hören und Reden, denn an ihren Enden befand sich jeweils ein Auge, zwei Ohren und ein Mund. Riesig konnten diese Arme werden, wie lang, wußte niemand, außer Jestertom. Wollte es wissen, was draußen im Walde vorging, schlängelte sich einer seiner Arme suchend umher. Aber und das war das besondere, das unheimliche an ihm, ein Arm schlingerte sich um die längst vergangenen Tage, konnte sehen, was niemand mehr sah, könnte hören, was längst verhalt, und der dritte wühlte ständig in den Tagen, die noch kommen sollten.

In der Echohöhle auf dem höchsten der sieben Berge, dem Berg Blanagi-Sacho sollte sie suchen. Blanagi-Sacho bedeutet in der Sprache der dort lebenden Menschen soviel wie `Riese aus weißem Stein', denn auch im heißesten Sommer ist seine Spitze von Eis und Schnee bedeckt. Also machte sie sich auf den Weg. Das heißt Eido machte sich mit ihr auf den Weg. Wie auf dem Rücken eines Elefanten ritt sie auf Eido dem Blanagi-Sacho entgegen.

An den großen roten Fluß hatte sie nicht gedacht.''

--,,Aber Mami, ein Fluß ist doch nicht rot. Die sind blau. Wasser ist doch blau!'', monierte sich Markus mit seinem charmantesten Lachen.

--,,Nein, Flüsse sind grün!'', korrigierte sie Vanessa und plötzlich starteten sie ihr beliebtes Sind-sie-nicht-sind-sie-doch Duell.

--,,Also wenn ihr jetzt anfängt zu streiten, dann mach ich jetzt das Licht aus und ihr müßt ohne Geschichte einschlafen!''

Plötzlich war es ihnen egal welche Farbe Flüsse haben, denn sie wollten wissen, wie es mit Sarah weiterging.

--,,Der Fluß war breit, und es gab keine Brücken. Eido sagte, er könne versuchen mit ihr durchzuwaten, aber sie wußte, daß das Wasser zu tief für ihn war. Und er solle doch nur mal ins Wasser schauen, es sei voll mit Baumstämmen und Büschen, die es nicht geschafft hätten. Sarah war plötzlich sehr traurig und weinte! So weit waren sie nun gewandert und hier sollte nun dies Reise zu Ende sein? Wer würde ihr dann sagen, wie sie eine richtige Hexe werden könnte?''

Gespannt schauten die Kinder sie an. Ihre Augen waren feucht und über Vanessas Wangen rollten sogar ein paar Tränen.

--,,Tschiepie tschiep, Tschiepie Tschiep, hörte sie plötzlich eine Vogel, der sich auf einem Zweig von Eido niedergelassen hatte. `Tschiepie tschiep, ein paar tausend Flügleschläge von hier, von dort wo das Wasser kommt, findest du den weisen alten Fährmann. Er ist weise, denn er kennt das diesseitige und das jenseitige Ufer. Er kann dich hinüberfahren!'

Sie brauchte nichts zu sagen, wohin sie nun wollte, denn auch Eido hatte den Vogel gehört. Bestimmt müßte sie ihm etwas zahlen, also zauberte sie sich ein Säckchen, voll mit Golddukaten. Genug, um den Fährmann zu einem reichen Mann zu machen. Dies sollte genügen, dafür würde er sie sicherlich übersetzen. `Hallo Fährmann, hier hast du ein Säckchen mit Golddukaten. Setze mich über!'

Der Fährmann schaute weiter gebannt in die Wellen des Flusses. Lange weisse Haare wallten über seine Schultern, und er hatte einen langen weissen Bart, und seine einzigen Kleider waren eine alte schäbige Hose.

`Fährman hast du mich nicht gehört. Hier ist ein Säckchen mit Gold, nun setz mich über!'

`Dies ist nicht der Preis! Heute wird es nun keine Überfahrt mehr geben!', sagte er mit ruhiger und tiefer Stimme und versank wieder in seine Meditation.

Am nächsten Morgen, die Sonne war gerade erst aufgegangen, war sie wieder beim Fährmann. Wieder saß er am Ufer des Flusses, oder hatte er die ganze Nacht dort gesessen?

`Fährmann, hier ist der größte und schönste Juwel, den die Welt je gesehen hatte. Setz mich nun über!'

`Dies ist nicht der Preis', sagte er und schwieg. `Aber gestern, wollte ich dir ein Säckchen mit Gold geben!', sagte sie verzweifelt. `Heute wird es nun keine Überfahrt mehr geben!', sagte er nun doch noch.

Sarah war nun so zornig, daß sie den Juwel in den Fluß warf.

`Fährmann, in dieser Kiste findest du die wertvollsten und edelsten Kleider der Welt, alle Könige würden vor Neid erblassen.'

`Ich würde sie nur schmutzig machen bei meiner Arbeit! Heute wird es nun keine Überfahrt mehr geben!'

Wieder wurde Sarah so zornig, daß sie die Kiste mit all den schönen Kleidern in den Fluß warf.

Was sollte sie ihm nun noch bieten? Dieser Fährmann war wohl der habgierigste Mensch, den sie je gesehen hatte. Am nächsten Morgen würde sie es noch einmal probieren, dann würden sie wieder heimkehren.''

Den Rest könnte sie morgen erzählen. Die Kinder schliefen schon. Sie wollte sich gerade aus dem Zimmer schleichen, da hörte sie Vanessa:

--,,Mama, bringt der Fährmann sie morgen hinüber?''

--,,Ja, mein Liebes, morgen bringt er sie hinüber. Schlaf nun schön!''. Sie war noch einmal zurückgegangen, und strich ihr zärtlich über den Kopf.

--,,Mama, kann ich eigentlich mal mitgehen?''

--,,Wohin?'', fragte sie verdutzt.

--,,Zu Oma natürlich, ins Krankenhaus!

Natürlich, natürlich! Sie hatte gleich gewußt, was sie meinte.

--,,Morgen gahe ich ja sowieso nicht, da ich keinen für euch gefunden habe und außerdem ...''

--,,Aber Mama, wenn du uns doch mit nimmst, brauchst du doch niemanden der auf uns aufpaßt!''

--,,Außerdem dürfen in die Intensivstation keine Kinder hinein! Selbst wenn ich wollte, ich könnte euch gar nicht mitnehmen!''

Und dann regneten ein Menge von Fragen. Warum dürfen Kinder nicht in die Intensivstation, wollte Vanessa wissen? Was sollte sie ihr sagen, ohne sie mit schweren Krankheiten und Sterben vor dem Einschlafen zu schrecken? Wann würde ihre Omi wieder aus der Intensivstation rauskommen? Das würde sie selbst gerne wissen. Niemand konnte ihr das sagen. Was hatte man ihr überhaupt gesagt? Würde sie überhaupt wieder lebend rauskommen, das war eine Frage die Vera bewegte, aber Vanessa stellte diese wenigstens nicht. Ja natürlich, wenn ihre Oma auf einer Normalstation liegen würde, dann dürfe sie mal mitgehen. War das nicht die Haustüre gewesen? Jetzt wär's natürlich besser, wenn er vielleicht zehn Minuten später gekommen wäre. Wenn Vanessa jetzt mitbekommt, daß ihr Papa gekommen ist, will sie bestimmt wieder aufstehen, und sie wird wieder total munter.



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