next up previous contents
Nächste Seite: Abschnitt 27 Aufwärts: Am Tag danach Vorherige Seite: Abschnitt 25   Inhalt

Abschnitt 26


Sollte er Vera überhaupt etwas von Dr. Springer und den beiden anderen erzählen. Klar, daß er sie kennen gelernt hatte, und was sie so gemacht hatten, das könnte er ihr schon erzählen. Aber mit der anderen Sache würde er noch warten. Noch war ja zweifelhaft, wie sich die Sache überhaupt entwickeln würde. Vielleicht hatten sie es ja gar nicht so gemeint, wie es bei ihm angekommen war. Aber, wenn er sich nochmal an alles erinnerte, kam es ihm nicht so vor, als wäre es ihnen nicht ernst gewesen. Im Nachhinein kommt es ihm sogar so vor, als wäre alles von Anfang an geplant gewesen. Vom ersten Tag an, als sie ihn der Mittagspause angesprochen hatten. Er stand ein wenig ratlos herum, weil er nicht wußte, wo es zur Kantine ging. Sollte er sich einfach dem Seminarleiter anschließen?

--,,Herr Schmied! Das war wirklich großartig, wie sie den Vortrag mit ihren praktischen Erfahrung belebt hatten. Ansonsten wäre wohl alles ziemlich farblos und fade geblieben.''

Drei Gestalten in dunklen Anzügen umzingelten ihn, und drei Köpfe nickten ihm lächelnd und aufmunternd zu.

--,,Wir haben ja noch keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet, wenn man mal von dem absieht, was man so aus den Zeitungen kennt. Sie haben die Dinge so richtig auf den Punkt gebracht. Bei dem Kursleiter ...'', hier drehte sich der Kopf mit dem vollen silbergrauen Haar vorsichtig nach hinten, um sich zu vergewissern, daß der Besagte weit genug weg war und fährt dann fort ,, bei dem konnte man ja schon den Eindruck haben, daß er nicht weiß wovon er redet ... ich meine, daß er keine Ahnung hat!''

Ein ziemlich kahler Kopf am Ende eines äußerst hageren Körper, der auf den Namen Stockhausen hört, und ein anderer mit einer riesigen Nase und zwei Augen, die beinahe am Nasenansatz verschmolzen, nickten und lächelten emsig zu dem, was ihr Kollege Dr. Springer gesagt hatte.

--,,Was würden sie davon halten, wenn wir uns heute Abend noch ein wenig weiter unterhalten könnten ...in gemütlicher Atmosphäre, bei gutem Essen und einem edlen Tropfen?'', fragte ihn nun Herr Stockhausen.

--,,Selbstverständlich sind sie unser Gast!'', ergänzte Dr. Springer und drei Augenpaare kleben lauernd auf ihm.

Wenn der Fernseher nur so laufe, wenn Vera auch nicht zuschaute, könnte er ja mal schauen, ob es auf irgendeinem Kanal Nachrichten oder ein Wirtschftsmagazin gäbe, dachte Felix. Im ,,Vieux Moulin'' hätte es ihr bestimmt auch gut gefallen. Dr. Springer hatte ihm nicht zuviel versprochen. Ganz im Gegenteil! Zu wenig! Gutes Essen! Welche Untertreibung! Wie Fürsten hatten sie suppiert! Die Speiskarten in echtem Leder und auf schwerstem Bütten gedruckt, aber nirgendwo gab es Preise. Vielleicht hatten die auch mehrere Karten: Eine mit Preise für den der einlud, also zu zahlen hatten und die Blankokarten für die Beschenkten. Aber dennoch, so richtig gemütlich hatte er es nicht gefunden, da hatte ihm Dr. Springer was Falsches Versprochen. Ein phantastisches Ambiente ja, Gemütlichkeit nein, denn dazu war es viel zu fein. Die Horde von Bediensteten, die ständig um die Tische hüpfte, Gläser füllte und tauschte, Teller und Besteck wechselte. Die hätten die Messer oder Gabeln doch schon in der Luft aufgefangen, falls er sich mal so ungeschickt angestellt hätte, ein Besteckteil fallen zu lassen. Vieux Moulin, welch ein Name für ein Restaurant, fern von einem Fluß, an dem sich Mühlräder drehen könnten, und hoch oben über den Dächern von Berlin, irgendwo im letzten Stock eines Hochhauses, welches kaum zehn Jahr alt war.

--,,Am ersten Abend haben wir übrigens in einem Nobelschuppen gegessen! Vieux Moulin!''

--,,Ist das denn nicht so ein Nacktklub, ähem, ich meine Nachtklub ... '', wandte Vera scherzhaft, aber doch auch ein wenig entsetzt ein.

--,,Ne ne, ganz im Gegenteil. Vieux Moulin, nicht Moulin Rouge! Das befindet sich übrigens auch in Paris!''

--,,So blöd' bin ich ja nun auch wieder nicht!''

--,,Ich meinte ja nur. Also im Vieux Moulin laufen nur steif gekleidete Ober und züchtige Kellnerinnen, knielange Kleider herum. Dort gibt es nur zu essen ...was heißt `nur', ganz phantastische Küche, sag' ich dir! Hätte dir bestimmt auch ganz toll gefallen!''

--,,Also jetzt mach' mir nicht noch darauf Lust, wo schon die Pralinen nicht so toll sind!'', sagte Vera lachend.

Also, wenn er sich so anschaute, wie sie die Pralinen in sich hineinstopfte, schienen sie ja gar nicht so schlecht zu sein, wie sie schon wieder spöttelte. Aber es war wohl klüger, nicht darauf einzugehen.

--,,Stell dir nur vor, du öffnest die Türe im obersten Stock eines Geschäfts- und Bürohochhauses ... so ein moderner Glaspalast, und du glaubst plötzlich in Frankreich zu sein. Nicht nur Frankreich: Ancien Régime. Alles vom Feinsten. Als hätten sie einen Speisesaal in Versailles, ... wie soll man sagen, abgebaut und dort wieder installiert! Irgend ein Original in Paris hatte auch Pate gestanden, zumindest stand sowas im Prospekt.''

--,,Und sonst gab es auch keine Frauen?''

--,,Wie meinst Du das?''

--,,Überhaupt, im Seminar oder im Moulin Rouge!''

--,,Vieux Moulin! ...Nein das heißt, eine Freundin von Dr. Springer war dabei gewesen!''

Freundin von Dr. Springer, das klang am Unverfänglichsten.

--,,Oh, darf ich vorstellen, Biggi, eine alte Bekannte von mir. Habe sie schon lange nicht mehr gesehen, und da habe ich sie kurzerhand mit eingeladen. Ich hoffe, sie verzeihen mir!''

--,,Es gibt weitaus schlimmeres alles mit einer so hübschen Damen zu speisen!'', sagte Felix und war richtig stolz darauf, -- vor allem als er merkte, daß seine Bemerkung mit einem aufreizenden Lächeln belohnt wurde -- zu solch einem Kompliment fähig zu sein.

Eigentlich ist es ja ganz normal, jemand kommt neu in eine Kneipe oder in ein Restaurant und er oder sie wird von den Anwesenden gemustert. Aber nur bei denen, die in besonderer Weise vom Durchschnitt abweichen bleiben die Blicke kleben, verweilen bewundernd oder neidend auf besonders schicken Kleidern, oder erheben ihr Selbstgefühl im Anblick besonderer Geschmacklosigkeit. Normal ist es, daß es den meisten Menschen unangenehm wäre, so zum Mittelpunkt zu werden. Nicht so bei Biggi, sie sonnte sich in diesem Gefühl. Dreist suchend schaute sie herum, während ein Smoking tragender Ober sie aus ihrem Ozelot schälte. Männeraugen voller Gier, und deren Frauen voller Verachtung, nicht gegenüber ihren Männern sondern gegen sie gerichtet. Wie konnte man nur so aufreizend herumlaufen, und dann noch alleine. Alleine und sie sah phantastisch aus, das war der Magnet für die Männerblicke, dem sie sich nur schwerlich entziehen konnten. Jäger und Felix war einer von ihnen.

Wenn er sich das im Nachhinein überlegte, waren die drei recht behutsam vorgegangen. An diesem Abend hatten sie die Katze nicht aus dem Sack gelassen, dachte er neben Vera auf dem Sofa sitzend. Nettes nichtsagendes Geplaudere. So hatte es zumindest den Anschein gehabt. Aber so wie sich ihm nun alles darstellte, also mit dem Wissen der weiteren Treffen, war ihm klar, daß sie ihn nebenbei auch ausgefragt hatten: Ganz behutsam und systematisch. Die wollten auf Nummer sicher gehen. Wollten wirklich wissen, mit wem sie es zu tun hätten, ob er wirklich geeignet sei. Wie hatten die es eigentlich geschafft ihn dazu zu bringen, über seine finazielle Situation zu jammern? Ist doch logisch, dachte er, bei den hohen Preisen in diesem edlen Schuppen war es doch kein Wunder, daß sie ständig auch über Geld sprachen. Über zweihundert Mark hatte doch wohl alleine sein Anteil an Essen und Trinken gekostet. Genau wußte er es nicht, denn die Karte hatte ja keine Preise enthalten, und die detaillierte Rechnung hatte er nie gesehen. Mit nahezu tausend Mark war Dr. Springers American Express Karte belastet worden. Sie hatten angefangen über Geld zu reden. Beteuerten, daß sie sich so etwas privat nicht leisten könnten, und Dr. Springer fing sogar an davon zu reden, daß es privat sowieso nie reichen würde, egal wieviel er verdiene. Ja, das mußte es gewesen sein. Da hatte er alle Hemmungen verloren und hatte auch zu klagen begonnen. Das war das Tüpfelchen auf dem ,,i'' gewesen, das war ihm nun klar. Damit hatte er sich qualifiziert.

Die ganze Atmosphäre, der Wein und vor allem Biggi, kein Wunder daß er da einfach so drauf loszuplaudern begann, ohne groß über die Konsequenzen nachzudenken. War ja auch nichts dabei gewesen, im Prinzip. Vier Fremde Leute, die er aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr wieder sehen würde. Denen zu erzählen, daß er mehr Geld gebrauchen könnte. Denen die Geschichte von Malters Fehlern bei den Verhandlungen mit der CEE zu erzählen. Sie kannten Malter nicht, würden ihn auch wohl nie kennenlernen. Und die Anektdoten von Malters Tölpelhaftigkeit hatten ihm ständige Lachsalven eingefahren, vor allem bei Biggi. Die hatte förmlich an seinen Lippen geklebt. Damit hatte er sie ins Bett gekriegt.

Was war eigentlich los mit ihm, schon wieder hatte er bei einer Frau seinen Kopf verloren. Okay, das war anders als bei Dominique. Biggi, das war eine Nacht gewesen, vorbei und vergessen. War noch nicht mal besonders toll gewesen.

--,,Und diese Berta?'', fragte Vera, während im Fernsehen gerade ein Werbeblock begann.

--,,Oh Berta!'', rief Felix voller Emphase aus, voller Freude, daß sie nicht weiter über Biggi nachbohrte. ,,Mit Berta kannst Du wirklich nicht mithalten. Da mußt Du noch eine Menge von diesen delikaten Pralinen essen und ein paar Jährchen älter werden!'', sagte Felix, und Vera schloß sich seinem erleichterten Lachen an, schaute jedoch immer noch ein wenig skeptisch.

--,,Was hast du dir denn eigentlich so angeschaut in Berlin?''

--,,Na die dicke Berta natürlich!''

--,,Ne im Ernst!''

--,,Wie schon gesagt, was man vom Auto aus halt sehen kann: Brandenburger Tor und so. ... Und dann waren wir noch im Ägyptischen Museum Charlottenburg gewesen. Das war wirklich toll. Dort gibt es ein riesiges ägyptisches Tor, ... Verdammt jetzt hab' ich doch glatt den Namen vergessen ... so was wie Kebab ... ist ja auch egal und dann die Säulenhalle. Du könntest glauben, du wärest wirklich irgendwo in Ägypten. Kolossal, sag' ich dir!''

--,,Gibt es dort nicht auch eine Tutenchamunstatue?''

--,,Also keine große oder bekannte, aber zum Beispiel eine berühmte Büste der Nofretete. Die hast du bestimmt schon mal gesehen. Das ist die mit dem einen blinden Auge. Wart' mal, ich hol' mal den Prospekt. Da gibt es eine schöne Abbildung.''

--,, ... ach ja, hier haben wir ja auch das Tor ...Kalabscha ... da lag ich mit meinem Kebab ja gar nicht so verkehrt ... Der berühmte Berliner Grüne Kopf -- soll ja das bedeutendste Werk der Spätzeit ... hat mich aber nicht so begeistert ... hier ist auch eine Abbildung der Nofretetebüste ... ''

--,,Das muß ja eine faszinierende Frau gewesen sein. Unheimlich schön!''

--,,Falls der Künstler sich nicht zu viele Freiheiten herausgenommen hatte ... wer weiß, möglicherweise sah die ganz anders aus ... ''

--,,Aber du sagst doch immer, daß die Künstler die Welt immer zu häßlich und zu traurig oder so darstellten ... anstatt das Schöne ...''

--,,Stimmt ja auch meist, aber nicht für einen Künstler, der seine Königin malen muß. Noch dazu im alten Ägypten ... Da würde ich mich auch nicht trauen einen Fehler zu machen ...'', und dann fügte er lächelnd hinzu ,,Wer weiß, wie du wegkämst, wenn dich ein Künstler ... ''

--,,Du findest also, daß ich das nötig hätte?''

--,,Was?''

--,,Daß mich ein Künstler aufpoliert!''

--,,Nein, natürlich nicht!''

--,,Aber ich bin ja leider keine Königin, und da würde sich so ein Künstler wohl eher auf meine Mängel stürzen!.''

Zwergenhaft wirkte Dr. Springer unter und neben dem Kalabschator. Aber nicht nur dort, sondern auch neben Stockhausens hagerer und langer Gestalt, wirkte er klein, und er ist es auch. Vorher war es ihm nie richtig aufgefallen. Wahrscheinlich lag es auch daran, weil Felix ihn, wie auch seine beiden Begleiter, meist nur sitzend gesehen hatte, tagsüber auf einem der zwar gepolsterten aber dennoch ungemütlichen Seminarstühle abends auf einem der Louis-Quatorze-Stühle des Edelrestaurants. Dr. Springer unter dem Kalabschator, dieses Bild war in seiner Erinnerung fest eingebrannt. Ebenso, mit welcher Würde er durch das Tor geschritten war, immer wieder, mal in die eine mal in die andere Richtung. Seine Augen immer wieder geschlossen, um die Vorstellungskraft zu stärken oder bereits um sich von der imaginären Sonne Ägyptens zu schützen. Da könne man sich doch wie im alten Ägypten fühlen, hatte Pharao Springaton der Erste mit würdigem Gesichtsausdruck verkündet. Kaum vorstellbar, aber alles sei echt, tausende von Jahre alt, sagte er, während seine Hände den Stein befühlten.

Was Dr. Springer in der Säulenhalle über Echnaton gesagt hatte, war ja wirklich interessant gewesen. Felix bewunderte Dr. Springers Wissen über diese Zeit, fragte sich aber, -- sowohl in der Säulenhalle als auch später dann neben Vera auf dem Sofa, während sie Fernsehen schaute, -- ob er diese Informationen nicht einfach nur dem Museumskatalog entnommen hatte. Und Felix fragte sich auch, ob denn alles so stimmte, wie es Dr. Springer darstellte.

--,,Echnaton war es, der als erster den Monotheismus eingeführt hatte. Sein Sonnengott war die alleinige Gottheit. Mit einem Schlag stürzte er all die tausende von Jahre alten Götter. Sakhmet, die Göttin mit dem Löwenkopf, so was wie ne umgekehrte Sphinx, Iris und Osiris, alle stürzte er, und dann haben sie ihn dafür zu Fall gebracht. Die Priesterschaften der anderen Götter konnten es nicht zulassen ihre ganze Existenz hing davon ab. Wahrscheinlich ging es auch dem einfachen Volk zu weit. Das war damals wie heute so: Das Volk ist konservativ und hängt an seinen Gewohnheiten und seinem Aberglauben. ''

Dann ging er sogar soweit zu behaupten, daß selbst die jüdische Religion und damit auch das Christentum nichts als ein Sprößling von Echnatons Aton. Die Juden hätten schließlich während oder kurze Zeit nach Echnaton in ägyptischer Gefangenschaft gelebt. Genaue Zahlen gäbe es ja nicht.

Hoffentlich habe er nun nicht seine religiösen Gefühle verletzt. Nein, er sei kein gläubiger Mensch, hatte Felix ihn sofort beruhigt, obwohl es so nicht stimmte. Sich von den Fesseln der Religion -- so hatte er doch wörtlich gesagt, oder nicht -- gebe einem große Freiheit, aber auch eine große Verantwortung, denn Gut und Böse wären plötzlich nicht mehr a-priori definiert. Man müsse sich selbst seine Skala zurechtlegen. Im Nachhinein kam es ihm als ein nahezu idealer Übergang zu dem, was er dann sagte vor. Hatte Dr. Springer etwa selbst dies so im voraus geplant. Er konnte es kaum glauben. Herr König und Herr Stockhausen waren nicht bei ihnen. Sie wandelten um die Säulen, beklopften sie und bestaunten sie, und es war als vermieden sie es, ihnen zu nahe zu kommen.

--,,Ich glaube, daß wir in Zukunft gut zusammenarbeiten können. Jetzt wo wir uns so nahe gekommen waren! Finden Sie nicht auch?''

--,,Ich denke schon, daß es da sicherlich Möglichkeiten gibt. Demnächst soll es ja wieder um einen neuen Auftrag gehen. Wenn sie dann konkurrenzfähig sind ...'', antwortete Felix.

--,,Ich denke, das werden wir schon hinbekommen. Mit vereinten Kräften.''

Wie er das sagte, gefiel ihm nicht. Seine vereinten Kräfte klangen so, als müsse er tun, was er sagte, als sei er sein Chef. Klar, er würde ihnen wohlwollend gegenüberstehen, aber falls die CEE wieder günstiger wären, könnte er ihnen auch nicht helfen.



next up previous contents
Nächste Seite: Abschnitt 27 Aufwärts: Am Tag danach Vorherige Seite: Abschnitt 25   Inhalt