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Neues Thema - Antworten

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Lil
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PM ID: 106
PM [Lil]

Last replied to on Tue May 29, 2007 07:50:04
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...Hier ist Lil. Ich bin neu hier und wollte mich kurz vorstellen.
Ich bin Mitte 40, alleinstehend, Mutter eines (erwachsenen und nicht mehr bei mir lebenden) Sohnes, und ganztags berufstätig in einer Behörde.
Letzteres spiegelt einen der wenigen hellen Momente in meinem Leben wieder. Wenn ich nicht in einer Behörde arbeiten würde, wäre ich eine der vielen Millionen Arbeitslosen, denke ich.
Schon in der Grundschulzeit liegen meine ersten Erinnerungen an Aufgeschobenes, nicht Erledigtes und verspätet Abgeliefertes. Am Gymnasium wurde es dann mehr und mehr... Hausaufgaben? Vorbereitung auf Klassenarbeiten? Äh- nö- warum denn auch. Es lief, und es lief jahrelang so gut, dass ich ein Abitur mit 2.0 machte. Ohne mehr als drei Tage direkt vor dem Abi mal in die Bücher zu schauen. In den Folgejahren kriegte ich dann aber Probleme. Kaum zu Hause ausgezogen, die erste eigene Wohnung, die Ausbildung und das (mit 18 bekommene) Kind nebst Ehemann am Start, zeigte sich, dass Hausarbeit sich nicht mit dem Kopf und einem guten Gedächtnis sowie einem schnellen Lesetempo erledigen ließ. Die mir völlig fremden Lerninhalte meiner Ausbildung waren ziemlich widerspenstig, und ließen sich nicht mit mentalem Jonglieren beherrschen. Resultat war eine vergeigte erste Staatsprüfung, die Wiederholung klappte dann aber. Der richtige Schrecken schlug dann jedoch zu, als ich in eine Stelle gewiesen und fortan für ein eigenes Sachgebiet verantwortlich wurde. Liegen lassen wurde meine Hauptbeschäftigung. Dummerweise fielen Haufen an Routinearbeiten an, die interessanten Herausforderungen ließen auf sich warten, und so wuchsen die Altlasten, großenteils unbemerkt, vor sich hin. Jeder geplante Urlaub wurde verschoben bis ich endlich ein wenig Ordnung auf dem Schreibtisch hatte, und verging mit Gedanken, die sich nicht von den unerledigten Dingen lösen konnte. Jedes Telefonklingeln sorgte für Herzrasen, an Entspannung natürlich kein Gedanke.
Dann am Horizont eine neue Aufgabe- zusätzlich zu dem bisherigen müden Einerlei. Ich hab mich mit Verve drauf gestürzt, Überstunde nach Überstunde geleistet und binnen kurzer Zeit gute Strukturen geschaffen, gute Arbeit geleistet, endlich auch mal "Hier!" geschrien... Und dann, nach vier Monaten Doppelschichten, fiel ich aus. Komplett, rundum und mit einem sechsmonatigen Krankenschein. Leider, leider hatte meine Bauchspeicheldrüse aufgegeben, und ich lag einige Zeit im Koma mit einem neu aufgetretenen Diabetes, der durch stete Missachtung aller körperlichen Symptome zu einem Totalausfall führte. Es kam, wie es kommen musste: Meine Kollegen machten sich über mein Sachgebiet her und trauten ihren Augen nicht. Die Folge war ein Disziplinarverfahren, die drohende Entfernung aus dem Dienst, mögliche Schadenersatzforderungen in sechsstelliger Höhe und damit verbunden mein beruflicher und privater Ruin. Gott sei Dank hat mein Arbeitgeber ein psychologisches Gutachten eingeholt. Dessen Ergebnis war, dass aufgrund einer jahrelang bestehenden Depression keine volle Verantwortlichkeit bestanden hatte, und so kam ich mit einem sehr, sehr glücklichen blauen Auge davon. Inzwischen bin ich seit einiger Zeit wieder im Dienst, habe ein leicht anders angelegtes Sachgebiet erhalten und werde ein wenig besser überwacht- was mich im übrigen sehr stört, auch wenn ich weiß, dass das reiner Selbstschutz meiner Vorgesetzten ist. Im Grunde hat sich jedoch für mich überhaupt nichts geändert. Manchmal kann ich, wenn ich einfach nicht darüber nachdenke, wie ein Galeerensklave schuften- meist jedoch nicht. Hausarbeit ist weiterhin ein Schwanken zwischen soldatischer Pedanterie(selten) und der drohenden Beschilderung meiner Wohnung als örtliche Müllkippe... Beziehung ist unter diesen Umständen kaum möglich, weil ich das wirklich niemandem mehr zumuten kann. Meist bin ich müde und erschöpft, allein schon von der Anstrengung, mich zu dem bisschen anzutreiben, was ich dann vielleicht in Angriff nehme. Hilfe einfordern kann ich gar nicht, da würde ich ja zugeben, dass ich was nicht auf die Planke kriege- ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich bin in therapeutischer Behandlung, und das NichtsaufdieReiheKriegen ist auch ein Thema- es hat mir nur nicht sehr geholfen, dass meine Therapeutin findet, ich sei hoffnungslos unterfordert, berufstechnisch gesehen. Ich weiß, ich könnte viel mehr.. wenn ich mich selber ließe. Manchmal glaub ich, dass ich einfach nicht damit umgehen könnte, Erfolg zu haben. Manchmal denk ich, ich bin die faulste Kreatur auf Gottes schöner Erde. Schließlich kriegen andere Leute ganz andere Dinge auf die Kette...
Hab ich nur nicht arbeiten gelernt? Oder kann ich Durchhalten und Zu-Ende-Machen irgendwo trainieren? Fragen über Fragen.
Aber ansonsten gehts mir gut...
Gruß,
Lil

Elle
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Posted at Wed May 09, 2007 16:59:55
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Hallo Lil,

herzlichen Willkommen! Du stellst schon die richtigen Fragen, und die therapeutische Hilfe würde ich auf jeden Fall weiter in Anspruch nehmen, auch wenn der einzige Erklärungsversuch deiner Therapeutin etwas zu dürftig ist, finde ich. Und außerdem würde ich das Thema nicht nebenher laufen lassen, sondern zu einem der Hauptthemen deklarieren. Meine Therapeutin (ein Glücksfall, seit ca. 3 Monaten) fängt auch gerade an zu realisieren, zu welch dramatischen Konsequenzem das Fortsetzen des Aufschiebens führen könnte im schlimmsten Fall. Bei mir ist es noch nicht zum Zusammenbruch gekommen und "aufgeflogen" bin ich auch noch nicht, Gott sei Dank, es sieht so aus als würde ich doch noch im letzten Moment die Kurve kratzen (siehe auch mein Beitrag eine Seite weiter "Anfangen".

Bisher habe ich in diesem Forum alle interessanten Erklärungsansätze für die Prokrastination gefunden (Unterforderung, Depression, Angst vor...., Perfektionismus etc.).

Hast Du mal körperliche Ursachen ausschließen lassen? Ich denke da an Schilddrüsenfunktionsstörungen, die zu Antriebsschwäche, depressiven Verstimmungen usw. führen können, dazu gibt's hier auch einen älteren Thread.

Ich würde Dir raten, Dich erst einmal durch viele Beiträge hier durch zu arbeiten, dort findest Du Dich bestimmt auch wieder.

Alles Liebe und nicht aufgeben!
Elle

Elle
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Posted at Wed May 09, 2007 17:20:01
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Hast Du mal körperliche Ursachen ausschließen lassen? Ich denke da an Schilddrüsenfunktionsstörungen, die zu Antriebsschwäche, depressiven Verstimmungen usw. führen können, dazu gibt's hier auch einen älteren Thread.



Ich meine damit den Beitrag nächste Seite "Medizin der Emotionen ".

Gruß
Elle


Lil
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PM ID: 106
[PM Lil]

Posted at Wed May 09, 2007 17:51:02
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Hallo Elle,


vielen Dank für deine lieben Worte. Gesundheitlich stehts nicht zum Besten, da ist der Diabetes, der mich samt zugehörigem Doc ziemlich fordert und oft genug sich rätselhaft verhält, und ja, ich habe eine Schilddrüsenerkrankung, Morbus Basedow (Autoimmun-Erkrankung mit erhöhten SD-Werten). Die SD-Werte sind allerdings im grünen Bereich, und werden, allein schon wegen ihrer potenziellen Wirkungen auch auf den Blutzucker, laufend kontrolliert.
Zu hohe Blutzucker wirken bei mir konzentrationssenkend und wie ein Schlafmittel. Wenn ich dann den BZ messe und mit Insulin eingreife, wirds meist schnell besser. Das "Besser" bezieht sich jedoch lediglich auf den direkten Müdigkeitslevel, leider nicht auf die weiterhin geplanten oder bereits aufgeschobenen Dinge.
Dumm ist auch, dass der Diabetes als solcher mich den ganzen Tag beschäftigen könnte, mit jeder Menge Messungen und der dazugehörigen Buchhaltung (von der ich froh bin, sie derzeit überhaupt führen zu können, wenn auch auf Mindestlevel).
Was mich am häufigsten vom Tätigwerden abhält, sind jedoch Gefühle von Schuld und Scham. Irgendwas war zu tun, und wurde nicht _sofort_ getan, also ist es so gut wie verloren, weil ich mich diesen Dingen nicht mehr ohne negative Begleitgefühle nähern kann. Andere Menschen können das, das weiß ich definitiv. Also zum Beispiel sich die Bügelwäsche ansehen, sich trotzdem einen schönen Nachmittag machen und tatsächlich am nächsten Tag bügeln.
Ich sehe sie, mache mir einen Nachmittag voller Vorwüfe, und bügle am nächsten Tag trotzdem nicht. Womit weder der Freizeit noch der Wäsche Genüge getan ist... Und ohne Entspannung kommt irgendwann zu den Gefühlen der Scham und Schuld auch noch eine reguläre Erschöpfung.
Die Mahngebühren die ich in meinem Leben gezahlt habe, werden nur noch von den Kosten für Zigaretten übertroffen, und auch jetzt lauert hinter der Wand meines Arbeitszimmers ein seit drei Wochen ungeleerter Briefkasten. In dem Kasten werden die Erinnerungen an drei nicht bezahlte Knöllchen sein.
Der Hammer ist für mich aber, und der Gipfel des gelebten Zynismus´, dass ich beruflich genau diese Dinge mache- Leute auffordern, was zu tun, und dann hinter denen her schreibe und vollstrecke, die es nicht tun. Gut ist dabei nur, dass ich genau weiß, dass die Leute mir nichts böses wollen, und auch die Tricks kenne, mit denen ich sie trotzdem ins Büro kriege. Manchmal.
Was mir hier bisher gut tut, ist das Bewusstsein, endlich ohne Scham darüber reden/schreiben zu können, und auch ohne das Gefühl, mich in einem Jammerer-Gesprächskreis zu befinden, der mich immer weiter runter motivieren würde. Es gibt hier viele gute Tipps, und das weiß ich zu würdigen.
Liebe Grüße,

Lil


Elle
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Posted at Wed May 09, 2007 18:30:50
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Gesundheitlich stehts nicht zum Besten, da ist der Diabetes, der mich samt zugehörigem Doc ziemlich fordert und oft genug sich rätselhaft verhält, und ja, ich habe eine Schilddrüsenerkrankung, Morbus Basedow (Autoimmun-Erkrankung mit erhöhten SD-Werten). Die SD-Werte sind allerdings im grünen Bereich, und werden, allein schon wegen ihrer potenziellen Wirkungen auch auf den Blutzucker, laufend kontrolliert......

Was mich am häufigsten vom Tätigwerden abhält, sind jedoch Gefühle von Schuld und Scham.

............Die Mahngebühren die ich in meinem Leben gezahlt habe, werden nur noch von den Kosten für Zigaretten übertroffen, und auch jetzt lauert hinter der Wand meines Arbeitszimmers ein seit drei Wochen ungeleerter Briefkasten.


Mensch Lil,

ich fass es nicht, bin auch von MB betroffen und hatte gleich so eine Ahnung! Also, ich glaube, dass Du zwei sehr schwerwiegende Erkrankungen hast, die sich erheblich auf Konzentration, Leistungsvermögen, Stimmung, Antrieb und Durchhaltevermögen auswirken, das solltest Du auf keinen Fall herunterspielen. Eine Freundin aus einer MB-Selbsthilfegruppe hat sich allein deswegen berenten lassen müssen. Damit einen Ganztagsjob überhaupt durchzuhalten, ist eine riesige Leistung!Perfektionisten haben es sehr schwer einzusehen, dass sie krank sind und manchmal gar nicht besser können! Und informiere Dich unbedingt noch besser über MB auf dieser Internetseite www.ht-mb.de, denn wenn ein Arzt sagt "Werte im grünen Bereich" heißt das noch lange nicht, dass sie optimal sind.

Und diese Gefühle von Schuld und Scham, wer kennt sie nicht, der üblicherweise protestantisch erzogen wurde (die Katholiken können ja wenigstens zur Beichte gehen, sich das Gewissen erleichtern, die Protestanten tragen ihre Hölle ständig mit sich herum).Das ist das Prinzip unserer Erziehung, es gibt keine Liebe ohne Leistung, also liebt man sich auch nicht, wenn man nichts geleistet hat, ein perfekter Mechanismus, um fleißige Untertanen bei der Stange zu halten. Das Leben könnte ja Spaß machen, das wäre ja noch schöner! Insofern hat deine Weigerung etwas zu tun und es zu verschieben ganz klar auch etwas Rebellisches.

Die Angst vor den ungeöffneten Briefen kenne ich nur zu gut, hol einfach tief Luft, schlitze sie einen nach dem anderen auf, und leg sie erst einmal in einem schönen neuen Ordner mit Zwischenblättern ab (ich liebe weiße Ordner mit schönen bunten selbstgemachten Zwischenblättern, nicht solche aus Behörden-Gra) schön beschriftet mit Aktenzeichen. Ablage macht Spaß und Aufräumen tut gut, und die Zahlen sind nur auf dem Papier, das Bezahlen ein reiner Verwaltungsakt, ohne Emotionen! Und dann verzeihst Du Dir und sagst Dir "ich konnte es nicht schneller, besser..." gibst Dir erst einmal ein ganz dickes Lob für Deinen Mut die Briefe überhaupt zu öffnen und darfst noch eine halbe Stunde im Internet surfen zur Belohnung......oder so ähnlich!

Du hast mein volles Mitgefühl!
Schönen Abend noch!

Elle

Lil
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Posted at Wed May 09, 2007 20:28:50
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Huhu Elle,

nochmal ich- das irre ist, dass ich es beinahe zwei Jahre bombig hingekriegt habe, Rechnungen sofort zu bezahlen. Ich bin nämlich privat versichert, und nichts verschreckt gute Ärzte mehr, als wenn man sie nicht zahlt. Rechnung per online banking auf Termin legen, Kosten anfordern, und wenn die Leistung der Versicherung da ist, geht automatisch die Zahlung raus. Klappte wunderbar, inklusive hübscher hellblauer Akte. Und warum dann von jetzt auf gleich Schluss damit war? Keine Ahnung. Seither kämpf ich wieder um jede Anforderung, und jedes Rezept...
Ich bin übrigens katholisch gewesen :-) aber das funktioniert auch, ich hab nämlich sehr zuverlässige, bürgerliche, fleißige, sparsame, zurückhaltende Eltern. Rebellion, das Gefühl, alles außer spießig sein zu wollen, gekoppelt mit anerzogener Zukunftsangst, das ist schon eine krude Mischung. Die vier Kinder meiner Eltern haben insgesamt 7 Ehen geschlossen, von denen 5 gescheitert sind. Davon je zwei meines jüngsten Bruders und von meinereiner. Zum Entsetzen unserer Eltern. Mein Bruder ist übrigens auch Beamter, und auch Procrastinator, wenn ich das richtig beurteile. Unsere Geschwister sind brav, bieder, zuverlässig, fleißig und immer zu Hause, wenn die Straßenlaternen angehen. Und können nicht akzeptieren, dass es Leute gibt, die das nicht hinkriegen. Leider brauche ich manchmal ihre Hilfe... und das ist dann immer eine Krise für sich.
Danke für den Web-Tipp, da werd ich mal nachlesen.
LG
Lil


Lil
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Posted at Wed May 09, 2007 23:24:36
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So, hab jetzt mal ein bisschen, vor allem wegen des Basedow, gesurft. Das hab ich vor Jahren schon mal gemacht, aber entweder an der falschen Stelle oder es hat sich inzwischen reichlich getan... Ich überlege gerade, ob ich mich nicht grundsätzlich mal zum Endokrinologen begebe. Schließlich sind mir zwei wichtige Drüsen über den Jordan gegangen, deren Arbeit sich offenbar gegenseitig beeinflusst. Ich dachte wirklich, dass Normwerte bei T3, T4 sowie ein maximal supprimierter TSH-Wert in Ordnung sind. Hm. Diese Handlungsunfähigkeit bei gleichzeitiger Unrast ist mir doch sehr vertraut. Vielleicht ist sie ursächlich für das Procrastinieren, wenn ich auch stark vermute, dass sich das inzwischen verselbständigt hat.
Im Alltag hätte ich heute massive Probleme, eine beginnende Erhöhung von Schilddrüsenwerten (Herzrasen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen) zu bemerken, denn erstens sind diese Symptome auch bei jedem Unterzucker zu bemerken, und zweitens beinahe deckungsgleich mit altersbedingten Hitzewellen...
Wenn ich das so lese, reichts mir eigentlich mit dem Kranksein... Vielleicht sollte ich mir einen neuen Körper suchen. Sonst wird das noch ein Fulltime-Job.
Kopfschüttelnd,
Lil


Elle
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Posted at Wed May 09, 2007 23:26:08
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Rebellion, das Gefühl, alles außer spießig sein zu wollen, gekoppelt mit anerzogener Zukunftsangst, das ist schon eine krude Mischung.


Das könnte auch auf mich zutreffen, eigentlich typisch für die Generation der Kinder von Eltern, die die Nazizeit noch miterlebt haben und ihre Kinder in den furchtbar spießigen, engen 50er und 60er Jahren geprägt haben. Meine Mutter war angstneurotisch (mit Herzflattern, Panikattacken, Autoritätshörigkeit usw.) und hätte mich liebend gern als Beamtin auf Lebenszeit gesehen, den Gefallen konnte ich ihr leider nicht tun, ich habe mich damals direkt nach dem 2. Staatsexamen von einer Karriere im öffentlichen Dienst verabschiedet. Der Preis für die "Rebellion" und die "Freiheit" war hoch, mein Einkommen beträgt seit damals nur etwa die Hälfte von dem, was ich mit meinen Qualifikationen mal hätte verdienen können, wir sind arm, haben kein Haus, keine Reserven, die Selbständigkeit meines Mannes seit 30 Jahren war ein einziger Kraftakt ohne angespartes Eigenkapital.
Auch mein Bruder gehört zu der "braven" Art Geschwister,ich habe es inzwischen aber geschafft, ihn um keinen Preis der Welt mehr um Hilfe zu bitten, es ist einfach zu erniedrigend, lieber eine gute Freundin bitten, auch wenn's peinlich ist.

Habe gerade eine mail abgeschickt an einen befreundeten Buchhalter, der die Steuerunterlagen für uns vorbereitet, ich hoffe inständig, dass er uns auch diesmal nicht hängen lässt und hilft, die überfällige Erklärung termingerecht nächste Woche abzugeben.Er sieht aus wie ein Freak, lange dünne Haare, Birkenstock-Sandalen und Wollsocken, arbeitet außerdem als Heilpraktiker, aber ist super pünktlich, zuverlässig, lebt in geordneten Familienverhältnissen mit Frau, drei Kindern, Haus und Hund und ist ein Geheimtipp unter lauten "verrückten" Leuten, wie er sagt (z.B. Künstlern, die ihre Post und Rechnungen immer ungeöffnet in Schubladen verschwinden lassen, Handwerkern, die nach dem Tod ihrer Frau das Büro nicht mehr betreten, bis die Steuerfahndung vor der Tür steht,....).

Es gibt jede Menge "verrückte" Leute wie uns, wir sind zumindest sympatisch mit unseren Schwächen!

Gute Nacht,

Elle

Lil
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Posted at Thu May 10, 2007 06:51:13
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Guten Morgen, Elle,

man glaubts kaum: Bin eine halbe Stunde früher aufgestanden, um vor der Arbeit hier noch was zu lesen :-)
Tja, Geschwister... Kleiner Bruder und ich sind uns seit Jahrzehnten Trost und Stütze, nicht nur in den Stromschnellen des Alltags, sondern auch, wenn einer von uns mal wieder in den Trümmern einer Beziehung steht.
Die anderen zwei kennen uns inzwischen. Die Krise, wenn ich einen von ihnen um Hilfe bitten muss,ist eher intern- wobei ich schon drauf achte, wobei ich sie einschalte. Bei meinem Umzug im letzten Jahr zum Beispiel. Meine Schwester hat sich sogar mit dem Urteil über den Zustand meiner Wohnung zurück gehalten- sie hat beim Packen geholfen, weil ich tausende von Büchern habe und das einfach nicht alleine geschafft habe. Allein sie vom Staub zu befreien war eine gigantische Aufgabe, da ich auch noch 4 Katzen habe, deren Ehrgeiz darin besteht, möglichst schnell möglichst viel Haare zu verlieren.
Aber meine Sammelwut beschränkt sich auf Bücher und Katzen, und von den Büchern ist ein Drittel ins Altpapier gewandert. Auch von sonstigen Besitztümern. Das hat unheimlich viel ausgemacht, und einiges übersichtlicher gestaltet. In der jetztigen Wohnung gibt es keine Abstellkammer und keinen Keller. Also keine Möglichkeit, Biotope der vergessenen Dinge anzulegen. In der alten Wohnung gab es nicht weniger als 4 Abstellräume und zwei große Keller. Plus einen Schuppen. Das hat dazu geführt, dass immer dann, wenn ich es nicht geschafft habe, richtig aufzuräumen, die Unordnung in diese Kammern "gespült" wurde. Inklusive der sagenumwobenen ungeöffneten Kisten vom letzten Umzug fanden sich beim Auszug Dinge an, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie je besaß. Das ist alles auf die Müllkippe gewandert. Wenn ich darüber heute nachdenke, frage ich mich, wie das so schnell funktioniert haben kann, wo ich sonst Stunden, Tage und Wochen brauche, um mich zu irgendwas zu bringen. Weil gar keine Zeit war, in Reflexion zu versinken? Und weil es nichts konkreteres gibt als eine Abrissbirne, um klar zu machen, dass es eilt?
Steuererklärung... omg, das ist ein Problem. Die muss ich noch machen. Ist eine absolute Lappalie, weil außer meinen Versicherungen sowieso nichts abgesetzt werden kann. Aber trotzdem...
Ich wünsch dir einen schönen Tag,
liebe Grüße,
Lil

Elle
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Posted at Thu May 10, 2007 07:38:21
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Guten Morgen Lil,
das Aufbewahren von allen Büchern habe ich mir inzwischen abgewöhnt mit der Erkenntnis, dass Bücher keine Heiligtümer sind, sondern Gebrauchsgegenstände, und bin dazu übergegangen, bei eBay zu verkaufen, da Flomarkt zuviel Arbeit macht und zu wenig einbringt und die meisten für die Müllkippe zu schade sind.Ich bewahre nur noch solche auf, die für mein Leben wiklich eine große Bedeutung und auch eine wirkliche Erweiterung meines Horizontes bewirkt haben.
Überhaupt ist das jetzt ein Bestandteil meines Alltags geworden, Sachen verkaufen. Ich musste nur zwei Fächer in einem Raumteiler freiräumen für kleine Pappkartons, Kleberolle und Verpackungsmateril und nun werden jede Woche einige überflüssige Alltagsgegenstände verkauft. Nachdem ich die Schubladen in unserer Wohnung "durch" habe, werde ich mich an den Keller heranwagen und zusammen mit meinem (fast erwachsenen) Sohn seine Spielzeug- und Computerspielsammlung durchsuchen, aber das hat noch Zeit.

Das Sammeln von Gegenständen und nicht davon trennen können bedeutet für mich, meine Vergangenheit festhalten zu wollen und sie vor dem Vergessen zu bewahren, Briefe und Bilder werden deshalb auch nicht weggeworfen, vielleicht irgendwann...

Morgens funktioniert mein Kampf gegen das "Messietum" übrigens am besten, wenn die Hormon- und Blutzuckerwerte, oder was auch immer, am optimalsten sind. Seit einigen Monaten gehe ich nicht mehr aus dem Haus, ohne vorher den Abwasch gemacht, eine Wäschetrommel geleert, eine Online-Überweisung gemacht bzw. einen wichtigen Brief geschrieben habe, für den ich abends nach der Arbeit nicht mehr die Energie aufbinge. Das Sprichwort "früher Vogel fängt den Wurm" hat sich für mich inzwischen bewahrheitet.

Und außerdem geben mir diese frühen Erledigungen das Gefühl, dass ich nicht nur für die Arbeit, d.h. für die Entfremdung, aufstehe und mich vorbereite, sondern für mich, Mann und Kind.

Grüß Deine Katzen, ich mag die schnurrenden Schleicher auch!

Elle

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Posted at Thu May 10, 2007 09:53:07
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Hiho Elle,


ich hab noch nicht feststellen können, um welche Tageszeit ich am besten funktioniere. Vermutlich aber eher nicht morgens, da ist mein Alltag klassisch schnörkelig, d. h. ich verziere ihn mit Umwegen, indirekten Annäherungen etc. Oft funktioniert Hausarbeit z.B. bei mir ab acht Uhr abends ganz gut, Büroarbeit nachmittags nach 14 Uhr. Morgens komm ich wirklich oft nicht in den Quark, wobei in der Woche auch das Aufstehen schwierig ist. Am Wochenende aber gar nicht, da kann man mich ab fünf Uhr morgens schon wach finden. Das ist ein Relikt aus den Zeiten mit Mann und Kind, die schliefen dann noch und ich hatte das Haus für mich. Niemand, der mir den Sonnenaufgang zerredet hat oder mir hündchenartig hinterherlief. Heutzutage geh ich dann am WE oft gegen 10 wieder für ein Stündchen ins Bett, um danach dann einzukaufen.
Oft ist es jedoch so, dass ich an den Rechner gehe, Mails checken, und dann doch bei meinem Online-Rollenspiel hängen bleibe. Das ist ein echter Zeitvernichter. Und um mich herum wächst das Chaos.
lg
Lil

Elle
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Posted at Thu May 10, 2007 11:43:44
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ich hab noch nicht feststellen können, um welche Tageszeit ich am besten funktioniere. Vermutlich aber eher nicht morgens, da ist mein Alltag klassisch schnörkelig...............Oft funktioniert Hausarbeit z.B. bei mir ab acht Uhr abends ganz gut, Büroarbeit nachmittags nach 14 Uhr. Morgens komm ich wirklich oft nicht in den Quark, wobei in der Woche auch das Aufstehen schwierig ist.


Für solche Tageskurven gibt es hormonelle Gründe (in Kombination mit dem Diabetes natürlich schwierig herauszufinden), das solltest Du unbedingt mal festhalten und mit einem Endokrinologen besprechen. Ich kann mich auch noch daran erinnern, Büroarbeit erst ab 14:00 Uhr wirklich möglich, das hat sich erheblich verbessert, seitdem ich festgestellt habe, dass man auch mit MB nach abgeschlossener Behandlung in einer latenten Unterfunktion landen kann und künstliches Schilddrüsenhormon zuführe (L-Thyroxin).

Und jetzt wird gearbeitet, nicht gesurft. Bis frühestens heute Abend wieder!

Lil
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PM ID: 106
[PM Lil]

Posted at Fri May 11, 2007 09:32:47
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Hi Elle,

das ist interessant... mein Diabetologe meinte schon, L-Thyroxin wäre vermutlich ganz sinnvoll, allein schon, weil ich immer noch einen dicken Hals habe. Vielleicht ist der aber auch psychosomatisch zu sehen :-)
Gestern war wieder so ein typischer Bürotag: Bis mittags rumgetrödelt und -geschnörkelt, und ab 14 Uhr pünktlich an die Arbeit gegangen. Da hab ich sogar mal was geschafft gekriegt. Ich versuche, da mal ganz ohne Hintergedanken stolz drauf zu sein. Das ist nämlich auch schwierig: Wenn man dann mal was gemacht/erreicht/geregelt hat, läuft bei mir die innere Vergleichsinstanz Amok und kann nur sehen, was alles NICHT geregelt ist. Wie im Urlaub: Nicht den Tag selbst als solchen genießen, sondern nur zählen, wieviel Tage schon vergangen sind, und wann man wieder an die Arbeit muss. Tja, carpe diem...
EInen schönen Tag wünsch ich,

Lil

Elle
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Posted at Fri May 11, 2007 11:33:37
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Hallihallo Lil,

das hast Du aber gut gemacht! ("Na, wie fühlt sich das an?" würde meine Psychotherapeutin jetzt gleich hinterher fragen). Genau, jeder Hobbypsychologe weiß, dass nur "positive Verstärkung" hilft und negative überhaupt nicht, sondern das glatte Gegenteil bewirkt.

Nen dicken Hals sollte man aber weder psychosomatisch noch physisch haben, da muss mal ein Endo einen Ultraschall machen. Ich weiß nicht, ob der einfach so vom Thyroxin verschwinden würde (nicht der Endo, der dicke Hals natürlich).

Ich platze übrigens heute fast vor Glück, weil ich gestern Nacht zwischen 3:00 Uhr und heute Morgen um 8:00 die letzten procrastinatorischen Hürden genommen habe, unsere ausstehenden Steuererklärungen für drei Jahre (schäm ) soweit vorzubereiten, dass ich die vollständigen Belege - in schönen weißen Ordnern mit bunten Zwischenblättern - heute Nachmittag zu unserem Buchhalter-Bekannten bringen kann, der sie noch übers Wochenende kontieren will und uns eine Überschussrechnung erstellt, damit ich die erste Steuerklärung termingerecht nächste Woche beim Finanzamt einreichen kann.

Ich habe zwischendurch mit dem Kopf geschüttelt über mich, wie ich mir den Stress drei Jahre lang antun konnte, läppische Belege so lange liegen zu lassen, ein Jahr war sogar schon halb fertig vorsortiert, ganz zu schweigen von den Mahn- und Säumniszuschlägen sowie der Festsetzung der Einkommenssteuer. DAS PASSIERT MIR NICHT NOCH EINMAL!! (... sagte sie und legte die Tageskorrespondenz erst einmal zur Seite).

Ich muss mich heute Nachmittag nur ein bisschen zusammenreißen, dass ich dem Buchhalter nicht um den Hals falle und ihn abküsse, weil er mir aus der Patsche hilft und einen Teil seines Wochenendes opfert.

Ich meld mich wieder

Liebe Grüße
Elle

Lil
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[PM Lil]

Posted at Fri May 11, 2007 13:03:31
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Huhu Elle,


das freut mich aber für dich...
wobei mir in deinem Post was aufgefallen ist, was ich für typisch halte.
Das erste war das "(schäm)"- warum schämen wir uns noch dazu, wenn wir uns schaden? So quasi als Sahnehäubchen? Eigentlich sollte doch das negative Ergebnis, dass das Nichthandeln zur Folge hat, als Strafe vollkommen ausreichen. Also zum Beispiel Mahngebühren für was auch immer. Wenn ich so in mich hineinhorche, fällt mir auf, dass die Scham immer dann auf den Plan tritt, wenn an dem, was ich mal als "Versagen vor den Anforderungen der Realität" bezeichnen will, auch noch andere Personen beteiligt sind, als Zeugen, also.
Dinge, die außer mir keiner merkt, sind bei mir eigentlich nie in Gefahr, in diesen Teufelskreis einzumünden. Natürlich sind diese Dinge rar, an den meisten Vorgängen sind irgendwelche anderen Leute beteiligt. Klar hat das was damit zu tun, dass wir nicht gern als dumm da stehen, wer mag das schon.
Aber würden wir jemanden, der manche Dinge nicht oder nicht sofort geregelt bekommt, ebenso verdammen wie uns selbst? Ist es nicht die Scham und das schlechte Gewissen, was uns überhaupt erst Dinge dann gar nicht mehr anfassen lässt?
Oft kann ich bei Kollegen, die ich an was erinnere, feststellen, dass sie sagen: Oh Scheiße, hab ich vergessen, hol ich nach, Moment mal.
Und dann kommt das, was ich brauche, zügig daher. Für die ist vollkommen klar, dass sie nicht alles können, nicht alles sofort erledigt bekommen und auch nicht immer perfekt.
Die sich schämende Fraktion hingegen kommt auch nach der dritten Erinnerung nicht aus den Hufen, erkennbar daran, dass sie die Mails nicht mehr öffnen.
Etwas ähnliches ist mir aufgefallen, weil du mich am Anfang deines Posts gelobt hast und ich dich ebenfalls. Ebenso wie die Außenwirkung dessen, was wir nicht erledigen, ist die Außenwirkung dessen, was wir hinkriegen, offenbar sehr, sehr wichtig. Also Lob und Tadel (vermeintlich oder tatsächlich) von Anderen scheinen mir beinahe wichtiger zu sein, als die eigentliche Wirkung unseres Handelns.
Ich glaube, dass jeder Mensch Dingen, derer er sich schämt, nur schlecht ins Auge blicken kann. Mein Kernproblem scheint zu sein, zuviel Dinge mit Scham zu belegen, quasi als Vorwegnahme des Urteils anderer, ohne eigene Maßstäbe zu haben, wie zum Beispiel Zufriedenheit in/mit mir selbst als Mensch, unabhängig von Leistung oder Anforderung.
Habe ich zuviel "Urteilsberechtigung" nach Außen verlagert, wenn ich vor Scham und Schuldgefühl nur noch weglaufen will, sofern Dinge betroffen sind, die nur mir selbst schaden?
Ist es wirklich so, dass wir keine Existenzberechtigung haben, weil wir mal etwas nicht beherrschen? Der Einwand, dass auf vielen oder allen Gebieten des Lebens Defizite bestehen, zählt hier nicht, denn so hat das Problem nicht angefangen. Es ist wie ein Ölteppich immer weiter gewachsen.
Keine Ahnung, ob ich noch verständlich bin, ich hoffe es...
Liebe Grüße,
und knutsch den Buchhalter ruhig. Außer er sieht aus wie Quasimodo, dann bereust du es vielleicht...
Eienn wunderschönen Tag noch! Morgen kannst du ein ähnliches Erfolgserlebnis haben. Freu dich drauf.

Lil

Elle
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Posted at Fri May 11, 2007 14:02:48
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Darüber muss ich erst einmal ein paar Tage nachdenken, ...bin dann mal weg!

Elle

p.s. http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2003/935/pdf/Anja_Lietzmann_-_Scham.pdf

Lil
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[PM Lil]

Posted at Fri May 11, 2007 14:28:40
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...vielen Dank für den Link.
Superinteressant.

Schönes WE,

Lil

Elle
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Posted at Sun May 13, 2007 03:09:46
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Hallo Lil!

Das erste war das "(schäm)"- warum schämen wir uns noch dazu, wenn wir uns schaden? So quasi als Sahnehäubchen? Eigentlich sollte doch das negative Ergebnis, dass das Nichthandeln zur Folge hat, als Strafe vollkommen ausreichen. Also zum Beispiel Mahngebühren für was auch immer.

Nein, so funktioniert Moral aber nicht. Das negative Ergebnis reicht eben nicht als Strafe, weil es viel zu schnell vergessen würde, man lebt ja weiter, es gibt weiter etwas zu essen, man wird nicht geschlagen, es tut nicht weh. Ein negatives Ergebnis kann schon am nächsten Morgen wenn die Sonne scheint, schon wieder vergessen werden. Die Scham ist uns als kleinen Kindern (ob protestantisch, katholisch oder muslimisch…) beigebracht worden, es ist das perfide Instrument mit einer viel nachhaltigeren Wirkung. Sie tritt um so stärker auf, je mehr und länger wir allein gelassen wurden, ohne Worte oder auch nach einer Strafpredigt, in einem Gefühl, die „Tat“ sei nie wieder gut zu machen, der komplette Entzug von Liebe, und je kleiner ein Kind war, desto größer die Angst nie mehr dazu zu gehören zu den anderen, zur Familie, zu den „braven“, tiefe Scham ist Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, ein Grund zu sterben. Je größer das Fehlen von Liebe (und Verzeihen), desto größer und nachhaltiger die Scham. Bei völligem Fehlen von Liebe, und ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen in unserer Kultur gar nicht wissen was Liebe wirklich ist und nie welche bekommen haben, wird alles Handeln zum stetigen Suchen nach Liebe und jegliches „Fehlverhalten“ führt zu Scham und Schuld und somit in tiefe Hoffnungslosigkeit.

Wenn ich so in mich hineinhorche, fällt mir auf, dass die Scham immer dann auf den Plan tritt, wenn an dem, was ich mal als "Versagen vor den Anforderungen der Realität" bezeichnen will, auch noch andere Personen beteiligt sind, als Zeugen, also.

Die „Zeugen“ sind ursprünglich die Eltern, die Familie, die wichtigen Bezugspersonen, von denen wir als Kind abhängig waren, die unser Verhalten, was Ihnen nicht recht war, entdeckt und sanktioniert haben. Später dann projizieren wir diese Zeugen“ in Kollegen, Vorgesetzte, Behörden, Instanzen usw.

Dinge, die außer mir keiner merkt, sind bei mir eigentlich nie in Gefahr, in diesen Teufelskreis einzumünden.

Na zum Glück scheint deine katholische Erziehung nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein, Gott sieht doch eigentlich alles, aber diese Angst scheint Dich nie gequält zu haben. Oder hattest Du das Gefühl, dass der liebe Gott viel großzügiger war als Deine Eltern und sowieso alles verzeiht?

Aber würden wir jemanden, der manche Dinge nicht oder nicht sofort geregelt bekommt, ebenso verdammen wie uns selbst? Ist es nicht die Scham und das schlechte Gewissen, was uns überhaupt erst Dinge dann gar nicht mehr anfassen lässt?

Das kann schon passieren, je weniger Liebe, desto größer die Scham und das Gefühl des Ausgestoßen-Seins, desto großer dann die Hoffnungslosigkeit, aus der es schwer ist überhaupt wieder herauszukommen. Es kann auch das Gefühl dahinter stecken „es hat ja doch keine Zweck, auch wenn ich mich anstrengen würde, ich bekäme ja doch keine Verzeihung, und erst recht keine Liebe.“

Oft kann ich bei Kollegen, die ich an was erinnere, feststellen, dass sie sagen: Oh Scheiße, hab ich vergessen, hol ich nach, Moment mal. Und dann kommt das, was ich brauche, zügig daher. Für die ist vollkommen klar, dass sie nicht alles können, nicht alles sofort erledigt bekommen und auch nicht immer perfekt.

Das sind dann die Menschen, die weniger durch Lieblosigkeit, Angst und Scham klein gehalten wurden, sondern denen man schneller verziehen hat, bzw. die es irgendwann einmal leichter hatten, sich Liebe und Zuneigung dort zu holen, wo sie sie bekommen haben, und die sich folglich ganz natürlich selbst auch mehr lieben können.

Die sich schämende Fraktion hingegen kommt auch nach der dritten Erinnerung nicht aus den Hufen, erkennbar daran, dass sie die Mails nicht mehr öffnen.
Das sind die Unglücklichen, die ich oben erwähnt habe, die schneller in die Hoffnungslosigkeit fallen, weil es scheinbar keinen Ausweg gibt.

............Ebenso wie die Außenwirkung dessen, was wir nicht erledigen, ist die Außenwirkung dessen, was wir hinkriegen, offenbar sehr, sehr wichtig. Also Lob und Tadel (vermeintlich oder tatsächlich) von Anderen scheinen mir beinahe wichtiger zu sein, als die eigentliche Wirkung unseres Handelns.

Nein, es kommt nicht auf die „Außenwirkung“ an, was für ein liebloses und inhaltsleeres Wort, es kommt auf die Bestärkung an „du bist in Ordnung, das was du gemacht hast ist gut, wir vertrauen dir, mach weiter so“ (das was so viele Eltern leider nicht können, weil sie’s selber nicht bekommen haben). Die eigentliche Wirkung unseres Handelns können wir erst selbst zu schätzen wissen, wenn die Grundlage stimmt:“ ich bin in Ordung so wie ich bin, ich bin gut, ich mag mich“, und das geht nur, wenn man geliebt wurde und wird, sonst kann so etwas nicht entstehen, wir Menschen sind soziale Wesen, keine Autisten, leider oft die ewigen Kinder, die immer nach Liebe suchen und sie nicht finden.

Ich glaube, dass jeder Mensch Dingen, derer er sich schämt, nur schlecht ins Auge blicken kann.

Das ist bei mir nicht so stark ausgeprägt. Meine Scham geht nicht sehr tief, ich hatte zwei sehr liebe Großmütter, die immer auf den Plan traten, wenn es von „oberster Stelle“ Liebesentzug und Missachtung gab.

Mein Kernproblem scheint zu sein, zuviel Dinge mit Scham zu belegen, quasi als Vorwegnahme des Urteils anderer, ohne eigene Maßstäbe zu haben, wie zum Beispiel Zufriedenheit in/mit mir selbst als Mensch, unabhängig von Leistung oder Anforderung.

Die Frage ist: Wie kannst Du lernen Dich gut zu finden und zu lieben jenseits des Programmes, das Deine Eltern für Dich programmiert haben?

Habe ich zuviel "Urteilsberechtigung" nach Außen verlagert, wenn ich vor Scham und Schuldgefühl nur noch weglaufen will, sofern Dinge betroffen sind, die nur mir selbst schaden?

Scham und Schuldgefühl wird man nicht durch Tricks los, Nachdenken hilft, aber immer nur fragen bringt auch nicht weiter. Versuch’s doch mal mit Antworten, die Dein Verstand dem Programm Deiner Eltern entgegensetzt. Ich bin manchmal erstaunt, wie mein Verstand als „Mantra“ ins Unbewusste wirkt und sich dadurch das Gefühl tatsächlich auflöst bzw. verändert, spätestens über Nacht.

Ist es wirklich so, dass wir keine Existenzberechtigung haben, weil wir mal etwas nicht beherrschen? Der Einwand, dass auf vielen oder allen Gebieten des Lebens Defizite bestehen, zählt hier nicht, denn so hat das Problem nicht angefangen. Es ist wie ein Ölteppich immer weiter gewachsen.

Es gibt keine Trennung zwischen „uns“, die wir aufschieben, und „denen“, die angeblich nicht aufschieben, da gibt es nur Nuancen und fließende Übergänge, weil wir alle demselben Kulturkreis entstammen. Die vermeintlich gut Funktionierenden haben manchmal die erstaunlichsten Zwänge und Perversionen, da würde ich mich nicht so leicht blenden lassen. Diese Vorstellung entspringt nur deinem Gefühl des „nicht dazu Gehörens“ und Deiner Frage „wie machen die das bloß und warum kann ich das nicht?“.

Ich habe an diesem Wochenende nach meinem Erfolg zum ersten Mal wieder das Gefühl „normal“ zu sein, d.h. wie die anderen, die auch ihre Angelegenheiten regeln, und die Membran zwischen der Auswegslosigkeit des Teufelskreises durch das Verschieben vorher und Hoffnung, dass jetzt doch noch alles gut wird, war dünn wie Pergamentpapier, fast als könnte man sie mit dem Finger durchstoßen. Ich versuche gerade zu analysieren, warum mir gerade jetzt, an diesem Wochenende das gelungen ist, um es mir für die Zukunft nutzbar zu machen. Was war anders als sonst? Ich bin mir sicher, dass das nicht mit einem Trick oder Fingerschnippen ging: Das ist gewachsen und wie so oft im Leben müssen mehrere Dinge zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammenkommen. Da spielt das Abendessen, ein funktionierender Wecker, das Wetter, eine günstige Hormonlage, ein gutes Gespräch mit der Therapeutin vor einer Woche zu diesem Thema, eine gute Verdauung am Morgen, die Liebe des Ehegatten, das Absolute in der Falle sitzen, Hilfe eines Freundes, ein repariertes Auto und ein gefasster Entschluss, ein Nikontinpflaster statt Zigaretten, ein Bandscheibenvorfall, Haltungs- und Atemübungen und ….. was sonst noch eine Rolle.

Toll, dass Du so kluge Fragen stellst, habe lange nicht mehr so intensiv und lange nachgedacht, bin nämlich keine Intellektuelle (was ich furchtbar gern wäre, zugegeben).

Schönen Sonntag!

Elle

Lil
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Posted at Sun May 13, 2007 08:42:31
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Liebe Elle,

nu gehts mir so wie dir... darüber muss ich in Ruhe mal nachdenken. Wobei ich sowas in der Regel tu: Nachdenken kostet nichts, philosophieren führt mich weiter und die Gedanken sind frei.
Du schreibst, ich stellte kluge Fragen- mir kamen sie aggressiv vor, auch was, was ich nicht sein durfte. Mädchen sind schließlich nicht so. Und man stellt nichts in Frage. Aber ich bin aggressiv, und ich stelle aggressive Fragen.
Vielleicht bremst mich im Alltag das Gefühl aus, diese "Unpassenden Emotionen" verbergen zu müssen?
Vielleicht sitzt in mir immer noch das Kind, das Angst hat vor dem, was seine Wut anrichten könnte, ließe es ihr nur die Zügel schießen? Wut ist eine mächtige Emotion, und das Kind gibts bestimmt noch irgendwo. Manchmal ist es fast deckungsgleich mit mir, wenn ich mir wünsche, irgendwer würde endlich kommen und mir helfen, den ganzen Scheiß übernehmen und mich mal ein bisschen ausruhen lassen.
Das mit der Liebe, auch zu sich selbst und zum inneren Kind, ist so eine Sache. Ich glaube ebenfalls, dass kaum jemand weiß, was das ist- aber gibts für Liebe eine allgemeingültige Definition? Sozusagen eine Messlatte, die für uns alle gleich ist? Was gehört zur Liebe dazu?
Gestern abend hab ich eine Folge SpiegelTV gesehen- da gings um eine Gruppe Studenten,die sich an der Sporthochschule Köln beworben haben um einen Studienplatz. Das Kamerateam hat sie begleitet, während sie ihren Aufnahmetest machten. Mal abgesehen davon, dass ich mega-unsportlich bin, hätte ich NIEMALS die Courage, die Nation teilhaben zu lassen an einem potenziellen Versagen. Und dann kam das, was mich hat sprachlos werden lassen. Eins der Mädchen, die sich da beworben haben, hatte bestanden. Begleitet wurde sie zu dem Test von ihrem Vater,der sie, nachdem sie bestanden hatte, in den Arm nahm und so sichtbar stolz auf seine Tochter war, dass mir die Kehle eng wurde. Weil mir plötzlich klar wurde, dass ich das einfach nicht kenne. Weder diesen körperlichen Kontakt (meine Eltern sind Distanz-Erzieher) noch diesen stolzen Gesichtsausdruck eines Elternteils, wenn er/sie sein Kind ansieht.
EIn bisschen hat da selbst im Fernsehen Liebe sichtbar bestanden. Dieses Mädchen hatte bereits ein Studium begonnen und abgebrochen, weil sie bemerkt hat, dass das nichts für sie ist, und sie musste nicht verbummeln und versumpfen, sie hat ihre Eltern angerufen und ihnen das gesagt und eine Woche später mit Sack und Pack bei ihnen auf der Matte gestanden. SIe hatte also was angefangen, es geprüft und verworfen, und sie hatte sowohl die innere als auch die äußere Freiheit, das zu tun. Sie war sich selbst offenbar mehr wert als ihr Ruf, zielstrebig und diszipliniert zu sein. Wobei mir schon klar ist, dass sie einer Minderheit angehört. Und dass es bei mir ein heller Moment war, das so zu sehen, und nicht auf die gewöhnliche, bürgerliche Weise zu urteilen. Schließlich hat sie etwas nicht "ordnungsgemäß" beendet... Wobei mir jetzt auffällt, wie weitgehend es dieser bürgerlichen Art und Weise, zu urteilen, an Respekt fehlt vor dem, was da anders läuft als das, was "Man tut".
Ich hoffe nur, dass ich meinem Sohn ein kleines bisschen vermitteln konnte, bisher, dass ich tatsächlich stolz auf ihn bin. Ich sags ihm schon öfter, aber ob das so ankommt, weiß ich nicht.
Wertschätzung, Respekt und Fürsorge (die Tochter wieder einziehen lassen) gehört also für mich offenbar zur Liebe dazu... Vielleicht ist dann Selbstkritik möglich, ohne die Person zu vernichten.
Und wo wir gerade bei der Selbstkritik sind: Was soll das denn heißen, du wärst keine Intellektuelle? Woran willst du das denn festmachen? Fehlt dir irgendein "Du darfst nachdenken"-Schein? Wenn ja, stell ich dir einen aus, bedenkenlos. Ich habe nicht den Eindruck, dass deinem Kopf irgendwas fehlt. Du hast ausgezeichnet auf den Punkt gebracht, wo in meiner Argumentation die Knackpunkte liegen. Und über allem steht, deutlich lesbar, "Hab ein bisschen mehr Erbarmen mit dir selbst":-)

Mal im Ernst: "Intellektuell" ist mir als Begriff ebenso fremd wie Liebe, denn beidem fehlt für mich die allgemeingültige Beurteilbarkeit. Ich kenn Akademiker, die dumm sind wie Brot, und das mein ich so. Wie die ihr Studium geschafft haben, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat man das Diplom erteilt, weil sie versprochen haben, nie wieder zu kommen, wer weiß? Aber sie haben einen Abschluss irgendeiner Hochschule.
Es gibt Menschen, die sind klug, und das ist an keine schulische oder berufliche Ausbildung gebunden. Sofern Intellekt an irgendwelche Qualifikationsnachweise gekoppelt ist, kann er mir gestohlen bleiben. So, wie ich das Wort empfinde, hat es eher was mit Fähigkeit als mit Nachweisen zu tun, und die Fähigkeit, dich mit etwas Zähem zu beschäftigen und es in handliche Stücke zu zerteilen, die hast du doch gezeigt. Du hast dich damit gedanklich auseinandergesetzt und das Ergebnis dargestellt, und zwar so, dass das Gegenüber damit was anfangen kann. Soweit ist doch alles in Ordnung mit deinem Intellekt.
Ich hab die Dissertation, die sich hinter deinem Link verbarg, gelesen, verschlungen, und für meine Therapeutin ausgedruckt. Die hat interessanterweise im April noch eine Fortbildung zum Thema "Scham" besucht, und sie kommt immer wieder auf dieses Phänomen zurück. Das lässt hoffen.
So, und bevor ich hier Tolstoi´sche Längen erreiche, mach ich erstmal Schluss für jetzt, vielleicht wäre einvFrühstück nicht schlecht.

Ganz liebe Grüße, und einen schönen Sonntag,

Lil

Elle
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Posted at Wed May 16, 2007 12:10:03
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Du schreibst, ich stellte kluge Fragen- mir kamen sie aggressiv vor, auch was, was ich nicht sein durfte. Mädchen sind schließlich nicht so. Und man stellt nichts in Frage. Aber ich bin aggressiv, und ich stelle aggressive Fragen.


Vielleicht sitzt in mir immer noch das Kind, das Angst hat vor dem, was seine Wut anrichten könnte, ließe es ihr nur die Zügel schießen? Wut ist eine mächtige Emotion, und das Kind gibts bestimmt noch irgendwo. Manchmal ist es fast deckungsgleich mit mir, wenn ich mir wünsche, irgendwer würde endlich kommen und mir helfen, den ganzen Scheiß übernehmen und mich mal ein bisschen ausruhen lassen.

- aber gibts für Liebe eine allgemeingültige Definition? Sozusagen eine Messlatte, die für uns alle gleich ist? Was gehört zur Liebe dazu?

Was soll das denn heißen, du wärst keine Intellektuelle? Woran willst du das denn festmachen?


Liebe Lil,
so, nachdem ich soeben beim Finanzamt war und ganz stolz meine Steurerklärung abgegeben habe, erlaube ich mir noch eine halbe Stunde Wegschieben der drohenden Berge auf meinem Schreibtisch während meiner Arbeitszeit.

Deine Frage wirken auf mich überhaupt nicht aggressiv, ein wenig provokat schon. Das durfte man als Mädchen in den 60er Jahren nicht sein, das galt als "unweiblich".
Ich halte sehr viel von der Theorie des "inneren Kindes", es ist auch bei mir immer da, und gute Therapeuten helfen dabei, die Gefühle dieses Kindes manchmal an die Oberfläche zu befördern, damit die viele Energie, die dahinter verborgen ist, umgewandelt und genutzt werden kann. (Ein buddhistischer Lama hat mir mal versucht zu verstehen zu geben, wie es funktioniert, Aggressionen in positive Energie umzuwandeln, es geht also, ich arbeite immer noch dran.)

Dieses kindliche Wünschen, das jemand kommt und hilft, oder vielleicht sogar ein Wunder geschieht, kenne ich sehr gut. Je stärker diese "magischen" Wünsche werden, desto klarer wird mit mittlerweile, wie groß das Ausmaß des "in der Falle Sitzens" durch das Aufschieben geowrden ist und wie nah tatsächlich eine mögliche "Katastrophe" droht, so dass es wirklich allerhöchste Zeit wird, mit der Arbeit anzufangen. Diese Wünsche können aber auch eine Kraftquelle werden, bei schwierigen Aufgaben kann es helfen, alle guten "Geister" (verstorbene Großeltern, alle die einem jemals geholfen haben oder helfen könnten, aber nicht erreichbar sind etc.) in Gedanken inständig um Hilfe zu bitten. Irgendwie hilft das, frag mich nicht wie, es muss soo ähnlich sein wie bei den Leuten die beten und fest an die Wirkung des Betens glauben.

Für Liebe gibt es keine allgemeingültige Definition. Wie sollte man einem Blinden erklären, wie weiße Milch aussieht? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Liebende (Menschen, die die Fähigkeit zu lieben nicht verloren haben im Laufe des Lebens) sich ohne Worte untereinander erkennen können und dieses "Gefühl" ohne Worte vermitteln und austauschen können. Liebende können sich gar nicht vorstellen, wie es ist, diese Fähigkeit nicht zu haben, und nicht Liebende wissen nicht was Ihnen fehlt oder sie vermissen (sie kennen nur die große Sehnsucht danach), das mach tdas Zusammensein manchmal schwierig. Ich hatte das seltene Glück einem "Liebenden" zu begegnen und allmählich zu lernen wie das geht mit der Liebe, was nicht heißt dass ich besonders gut darin wäre. Die Momente, wo mir "das Herz aufgeht", sind immer noch recht selten.

Liebe ist ein körperlich lokalisierbares Gefühl, das nichts mit Sex oder Erotik zu tun hat (natürlich toll wenn beides zusammenkommt). In Augenblicken, wo "das Herz aufgeht", kann diese Energie strömen, was nicht bedeuten muss, dass sie immer und pausenlos strömt, der normale Alltag verhindert dies meist. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch diese Fähigkeit von Geburt an hat, sie wird nur durch die Umstände, dumme Eltern etc. sozusagen verschüttet. Kinder und Tiere fühlen sich instinktiv zu Menschen mit dieser Fähigkeit hingezogen bzw. können auch die Fähigkeit dazu besonders gut auslösen.

Ein Beispiel: Ich erinnere mich an einen wunderbaren Moment vor vielen Jahren bei einer Familenfeier, wo mein kleiner Cousin, sein Dackel und ich eng zusammengekuschelt auf dem Sofa saßen, zwei Stunden ohne viel Worte, und es strömte und strömte warm durch Dackel, mich und den Kleinen, so dass wir gar keine Lust hatten, diesen kostbaren Moment jemals wieder aufzulösen. Ein Gefühl, als bliebe die Zeit stehen. Wenn man liebt, ist man dem Gefühl von "Ewigkeit" sehr nah, alle Angst verschwindet, alles ist gut. Und es ist ein gegenseitiges Geben, es hat nichts mit Haben zu tun.

Wenn man je zu einem Menschen solch ein Gefühl hatte, kann man gar nicht anders, als ihn zu verstehen, ihm zu vertrauen, zu respektieren und ihm zu verzeihen. Der Vater aus Deinem Beispiel liebt seine Tochter wahrscheinlich wirklich, und das kann man sehen, die Augen strahlen, die Zärtlichkeit drückt sich im Gesicht aus. Es hat Dir die Kehel zugeschnürt, weil Dich zum Weinen bringt, dass es genaus das sit was alle Menschen suchen und brauchen (LOVE IS ALL YOU NEED, The Beatles).

Was meine "Intellektualität" abgeht, danke für die Blumen. Was ich meinte war, dass ich ziemlich denkfaul bin, gern schneller, schafsinniger und komplexer denken können möchte und noch mehr auf den Punkt kommen. Ich arbeite dran.

So, jetzt muss ich aber wieklich arbeiten.

Gruß
Elle

Lil
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Posted at Wed May 16, 2007 13:08:49
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Liebe Elle,

herzlichen Glückwunsch zu deiner Steuererklärung! Mir gehts heute so ähnlich (d. h. noch nicht...) ich hab mir meine Nichte eingeladen, wir werden zusammen eine Giraffe bauen aus Holz und Kükendraht und Pappmaché- dafür muss ich gleich nur noch einmal spülen, durchsaugen und die Katzenklos reinigen. Und bis ich anfange, gönne ich mir eine kleine Ruhepause nach der Arbeit.
Am MOntag war ich bei meiner Therapeutin, in ziemlich desolatem Zustand, aber im Gepäck die ausgedruckte Dissertation, die sich hinter deinem Link verbarg, und den festen Vorsatz, Klartext zu reden- was beinhaltete, ehrlich zu sein über meinen Gemütszustand (s.o.) und weder sie noch mich schwindelig zu reden mit allerlei Nebensächlichkeiten. Den Vorsatz hab ich eingehalten (Jippie!) und auch mit ihr das Thema Procrastination angesprochen.
Sie kannte den Terminus nicht, aber - tadaaa!- das Verhalten, und beschrieb es als einen sehr wirksamen Weg, Leben zu zerstören. Sie hat es wohl schon öfter gesehen... Wenn ich alles richtig verstanden habe, hat das ihrer Ansicht nach mit mangelnder Selbstschätzung zu tun, und mangelnder Fähigkeit, sich um sich selbst zu kümmern, ein Werkzeug der Autoaggression.
Ich selbst hab noch viel nachgedacht an dem Tag und auch seither. Ich könnte mir vorstellen, dass bei mir vieles daran liegt, dass ich so gar nicht dem entspreche, was meine Eltern sich gewünscht und vorgestellt haben als ihre älteste Tochter. Von vielen Merkmalen hab ich zuviel, von vielen hab ich zuwenig, und manche fehlen mir ganz. Dafür hab ich Fähigkeiten, die sie nicht haben, und deren Nutzen sie nicht erkennen können/konnten. Da ist dann nun so ein fremdes Wesen mit Verhaltensweisen, die man nicht schätzt, die vielleicht sogar stören, und anderen, die nicht so ausgeprägt da sind, wie man sie gern hätte- und was tut man dann? Ich glaub, man versucht, diese Person in das Förmchen zu pressen, das man für sie bereit hält. AUf die Gefahr hin, dass wichtige Teile gequetscht oder vielleicht abgetrennt werden, aber auch Teile von dem Förmchen selbst einfach leer bleiben. Da so ein kleines Wesen aber nicht nur Hunger und DUrst und eine volle Windel hat, sondern vor allem Liebe braucht, stehen alle Pressversuche unter dem drohenden Schatten des Liebesentzugs und dem seltenen, warmen Schein der Liebe, beides, der Entzug wie die Gabe von Liebe, als Sanktion genutzt. Und, wie du schon schreibst, drohender Liebesentzug ist der drohende Weltuntergang, die Vernichtung der Person.
Für mich und meine Innensicht meiner Probleme mit mir selbst erklärt sich aus dem "Förmchen"-Bild vieles. Die unsoliden Teile von mir, die mir selbst gegen den Strich(der bürgerlichen, elterlichen Wahrnehmung) gehen, die unausgelebten (gequetschten) Fähigkeiten, die Echos in mir, die von leeren Erwartungen ausgehen. Da ist eine Menge Trotz, der daher rührt, dass manche Anforderungen aufgesetzt und verordnet sind, und sich nie zu integrierten Bestandteilen meiner Person geordnet haben, auch wenn mein erwachsener Intellekt mir deutlich nahelegt, die eine oder andere Sache zu tun, weil es vernünftig ist, und nicht nur spießig.
Da ist eine Menge harter, sehr harter Urteile über mich selbst, bisher unerreicht durch alles, was man mir von anderer Seite über mich gesagt hat.
Und bis heute kann ich nicht unterscheiden zwischen einzelnen Verhaltensweisen und Charakterzügen und mir als (Rest-)Person. Wenn ein Teil von mir doof ist, unfähig, ungesellig, oberflächlich, unzuverlässig, so ist das gleich die ganze Person. Dass man selbst dann geliebt werden kann, wenn man manchmal ein Nervtöter ist oder seine Socken nicht sortiert kriegt oder mit seiner Steuererklärung nicht auf die Bretter kommt, erscheint mir nur theoretisch denkbar, nicht aber fühlbar. Folglich verbrauche ich eine Menge Energie dafür, diese unperfekten und den rosa Liebestraum störenden Aspekte von mir zum Beispiel Partnern gegenüber zu verbergen. Ist übrigens ein heißer Tip, wenn man mal längere Zeit solo sein will :-) Das macht Beziehungen so anstrengend, dass man von selbst nicht mehr möchte...
Aber genug von mir, meine halbe Stunde läuft ab.
Nur soviel noch zum Thema Intellektualität: Nur faule Leute garantieren den Fortschritt. Sonst säßen wir erstens immer noch in Höhlen, zweitens würden wir unser Essen in Form einzelner Körner von zufällig herumstehenden Gräsern picken, und drittens gäbs kein Internet. Oder glaubt irgendwer, das wäre alles von fleißigen Leuten erfunden worden? Nichts da...
Also keine Selbstvorwürfe. Und bitte: Keine Komplimente abwehren, nimm das Lob so, wie es gemeint war. Als Lob, nicht als Anlass zu Selbstzerfleischung (sowas erkennen wir hier alle, hat keinen Sinn, das zu leugnen).

Einen schönen Tag noch, und sei stolz auf deinen erfolgreichen Finanzamtsbesuch.

LG
Lil


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