| Registrieren--Anmelden--Top 20 Posters--Themen durchsuchen |
Prokrastination Home | ||
| monostatos Rank:member Group: members Beiträge: 2 IP Logged PM ID: 3210 PM [monostatos] | Last replied to on Mon Mar 23, 2009 15:36:36 Edit Post|Quote Hallo zusammen! Zuerst möchte ich mich kurz vorstellen: ich bin Manuel, 24, Student der BWL und VWL im 9. Semester, aus Leipzig. Da es mir zurzeit seelisch nicht möglich ist, mich mit mir Bekannten zu unterhalten (siehe unten), „nerve“ ich euch mal. Ich hoffe, dass ist okay. Mein Problem ist, dass ich bis vor Kurzem mehr oder weniger meine Diplomarbeit geschrieben habe. Die ersten zwei Monate der Bearbeitungszeit (November 2008 bis März 2009) habe ich einfach nichts tuend verstreichen lassen, aber das empfinde ich noch als normal. Im neuen Jahr dann, begann ich mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, habe recherchiert, Modelle nachgerechnet etc. Das hat mir schon fast Spaß bereitet. Ich war dann relativ gut drin im Thema und hatte die Arbeit praktisch im Kopf schon geschrieben. Gliederung, Argumentation, alles top. Real sah es leider nicht so aus, da waren es etwa zehn Seiten von geplanten 45-50. Zu der Zeit hatte ich noch etwa sechs Wochen, als ich dann anfing Rechungen aufzustellen wie „pro Woche zehn Seiten, d.h. jeden Tag ein bis zwei“ usw. Leider hat sich das nicht bewahrheitet. Meine konsequente Selbstüberschätzung („früher hat das auch geklappt“) in Verbindung mit zunehmenden Zweifeln über die Richtigkeit der Arbeit, führte dazu, dass ich eine Woche vor Abgabetermin immer noch nur zehn Seiten geschrieben hatte, und das nicht mal gut. Während der Zeit bis dahin habe ich natürlich jegliche Nachfrage von Freunden, Familie und betreuendem Lehrstuhl nach meinem Fortschritt mit einem „Ich brauche nur noch paar Seiten“ oder “Es geht voran“ abgewimmelt, nur damit ich mich nicht rechtfertigen muss, wie faul oder unfähig ich sei. Nun gut. Eine Woche vor Abgabetermin blieb ich immer noch bei der besagten x-Seiten-pro-Tag-Regel. Schließlich war es noch ein Tag bis zur Abgabe, 20 Seiten fertig und dann habe ich erst gemerkt, dass ich das nicht schaffen werde. Körperlich hat sich das dann auch gezeigt: Herzrasen, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe. Am nächsten Tag bin ich zur Uni, um dem Betreuer die Wahrheit zu sagen. Vor dem Büro haben sich die Symptome noch mal verstärkt. Der Betreuer war nicht da. Im ersten Moment war ich ziemlich erleichtert. Leider konnte ich bis heute mit niemandem darüber reden. Ich glaube, ich habe noch nie zwei so lange Tage erlebt. Das ist aber mein größtes Problem. Auf der einen Seite wäre es ziemlich gut, wenn ich wenigstens diese Belastung los bin. Auf der anderen Seite habe ich aber meine Freunde, Familie, Betreuer hinsichtlich der Arbeit massiv belogen und weiß nicht, wie ich mich dem stellen soll. Schon wenn ich an diese Situation denke, wird mir übel, Herzrasen usw. Ehrlich gesagt, ist mir auch noch nicht richtig klar geworden, dass ich die Arbeit nicht geschafft habe. So kommt es mir jedenfalls vor. Gut. Das war es erstmal. Ich hoffe, ihr versteht ein wenig, warum ich das geschrieben habe. Danke an diejenigen, die sich die Zeit zum Lesen genommen haben. Wenn ihr den ein oder anderen Tipp habt, freue ich mich natürlich sehr darüber, besonders bezüglich des letzten Absatzes. ----------------------------- Gruß, Manuel |
| keyanoo Rank:member Group: members Posts: 5 IP Logged PM ID: 2898 [PM keyanoo] | Posted at Sat Mar 21, 2009 18:25:35 Edit post|Quote Hallo Manuel Uff, das ist erst mal heftig!!! Schön, dass du hier Gehör findest, beim Vergeigen ,-) Erstmal: es ist kein Weltuntergang! Natürlich ist es sch***limm, und dass du die Wahrheit deinen Freunden vorenthalten hast, macht es nicht besser. Aber dir ist sicher Leo's Spruch schon aufgefallen: Hinfallen ist keine Sünde, Liegenbleiben schon. Na, dann gehen wir das Ganze mal schön akademisch an: Wie ist das passiert? Und wie kannst du's lösen? Den wahren Grund kannst nur du kennen. Es gibt vermutlich vorgeschobene Gründe und einen wirklichen. Aber ein paar allgemeine Erklärungsversuche könnten dir vielleicht weiterhelfen: - Du hattest Panik. Oliver's Elftes Gesetz besagt: Einmal in Panik, verfällt jeder in Aktionismus und tut was er am besten kann, so sinnlos das scheinen mag. Wer sinnvoll handelt, ist nicht in Panik. - Das Diplom war dir tief im Herzen nicht wichtig genug. Darum hast du dich selbst boykottiert. Aber du sahst keine Alternative, darum hast du dich allem mutig (oder verzweifelt) gestellt. - Du konntest tief im Herzen jemandem zuliebe nicht erfolgreicher sein, als diese Person. (Das hat mit Verstrickungen in deiner Familie zu tun, Thema Familienaufstellung.) Unbewusst könnte sich das äussern mit: 'ich bin es nicht wert', oder weicher: 'es wird doch schon irgendwie gutgehen'. - Du hattest einen tief verwurzelten Drang nach Sicherheit. Z.B. wolltest du mit Sicherheit vorhersagen können, was kommt. Das Vergeigen des Diploms gab dir die gesuchte Bestätigung. - Du wolltest ganz einfach ein Mann sein. Und hast dich diesem Unsinn verweigert. 'Was soll das, ein 50seitiges Dokument schreiben und dann habe ich das Diplom in der Tasche? Das soll das Schicksal eines Mannes besiegeln? Ihr seid doch wohl nicht bei Trost!' - Du hattest die Handbremse noch angezogen. Eigentlich kannst du das ja ganz gut, eine Diplomarbeit schreiben. Aber wieso einfach wenn's auch schwierig geht? - Es war dir zuwider, dieses oder irgendein Thema im Fliessband-Betrieb abzuhandeln. Wieso soll es nicht möglich sein, sich ein wenig länger in eine Fragestellung zu vertiefen? Und warum muss immer jeder alles alleine machen? Warum kann man nicht nur das machen, worin man gut ist und den Rest mit den anderen aushandeln? - Frei nach Bernd das Brot: 'Anrufer bist du vielleicht - intelligent?' Anhand von deinem Schreiben ist das anzunehmen. Vielleicht warst du clever genug, um weit über den Tellerrand der Aufgabenstellung zu sehen? Und du hast viel mehr Volumen gesehen, als nötig wäre, um die Aufgabe zu meistern. - Vielleicht hast du dich bei deinen Vorbereitungen immer wieder genervt, und gefragt: 'Warum ist das nicht so oder so? Könnte man das nicht einfacher und besser machen?' Wenn du dir diese Punkte bewusst machen kannst, wären das möglicherweise gute Ansätze für *deine* Diplomarbeit. - Warum du deinen Leuten nicht die Wahrheit gesagt hast? Du hast es nicht für möglich gehalten, dass sie dir helfen können, denn du wolltest dich der Aufgabe wie vorgeschrieben alleine stellen, Ehrensache. Und ausserdem hast du noch auf ein Wunder gehofft. Das tut man immer, wenn man in Panik ist. (Übrigens kann ich dir dankbar sein. Durchs Nachdenken über dich habe ich bei mir wieder ein paar Einsichten gewonnen ,-) Also, wie kannst du deine Diplomarbeit (im zweiten Anlauf) in den Griff kriegen? Hier ein paar Lösungs-Ideen: - Einer der wichtigsten Punkte für mich ist Leidenschaft. Wenn jemand verliebt ist, muss er dann je daran erinnert werden, an seine Liebe zu denken? Nö. Geht alles von alleine. Wähl dir überhaupt im Leben Dinge aus, für die du Leidenschaft hast. Du investierst mehr Zeit, Herzblut und Hirnschmalz. Dann bist du automatisch über dem Durchschnitt. Und alles geht viel einfacher. Wie dir das bei der Diplomarbeit helfen soll? Siehe hier: - Secret: Dankbarkeit statt Ausreden Ich habe kürzlich 'The Secret' gesehen. Der Film ist ein etwas bescheuerter, furchtbar amerikanischer Aufguss. Das hat mich aber nicht daran gehindert, für mich daraus einige Erkenntnisse zu ziehen: Meine Einstellung ist ein Magnet. Ich kann diesen Magneten polarisieren. D.h. mich programmieren. Am stärksten geht das mit starken *echten* Gefühlen. Die Programmierung besteht darin, dass ich regelmässig Begeisterung, Freude, Dankbarkeit fühle dafür, *dass ich etwas schon erreicht habe*. Vorallem gilt es, Ärger und Zweifel durch starke gute Gefühle zu ersetzen. Aber warum soll ich aus der fiktiven Zukunft zurück blicken, und nicht real nach vorne? Weil beide Versionen der Zukunft sowieso fiktiv sind. Heisst das dann, anstatt seine Freunde zu überlisten, überlistet man sich selbst? Nicht ganz. Unser Unterbewusstsein funktioniert bloss so. Es verwirklicht einfach unsere Gefühle. Das heisst nicht, dass du nichts mehr tun müsstest, im Gegenteil. Aber es werden Schalter betätigt und Bremsen gelöst. Frei nach Billy Cristal (Analyze This): 'Das Leben ist so verdammt kurz, um es nicht mit Leidenschaft zu leben.' Also dreimal täglich: 'ich bin so froh, dankbar und erleichtert, dass ich das Diplom geschafft habe'. Im Ernst ,-) - Der Klassiker: Versuch, die Aufgabe runter zu brechen: Wie wenig wäre genug? Wenn du vorne und hinten keine Ahnung hast, fang in der Mitte an. - Nimm Hilfe in Anspruch. Wenn dir gratis Hilfe zuwider ist, biete eine Gegenleistung an. Du willst/sollst Spitzenleistungen erbringen? Jeder Spitzensportler hat einen Coach. Du kannst mehrere haben. Sieh es so, dass dein Betreuer für dich da ist. Kostenlos! (Ganz Deutschland hat ihn schon für dich bezahlt! ,-) - Einige gute Freunde solltest du immer ins Vertrauen ziehen. Die werden dir schon helfen ,-) So ein 'Kick-in-the-ass' (ich hasse diese Wort) ist manchmal ganz heilsam. Er exponiert dich, und du kannst dich mit deinen Zielen und Entscheidungen nochmal näher auseinandersetzen. - Noch ein paar ganz konkrete Mini-Ideen: Versuch mal, den Küchen-Wecker auf eine halbe Stunde zu stellen, und mach dich hektisch an die Arbeit. Du spielst ein Spiel. Es geht darum, zu sehen, wieviel du in dieser Zeit schaffst. Nächster Schritt: Wenn du merkst, du wirst mit deiner Idee nicht in einer halben Stunde fertig, dann verlängere! - Und hast du schon über deinen Arbeitsplatz nachgedacht? Licht, Luft, Lärm, Unordnung, Unterbrechungen? Ich träume von einer schalldichten, klimatisierten Multimedia-Game-Kuschel-Raumkapsel-Arbeitsstation. (Ähm Arbeit? Na denn Prost! ,-) - Schliesslich was deine Freunde betrifft: sag ihnen die Wahrheit. 'Ich hab's verhauen. Ich hatte nicht den Mut, es euch einzugestehen.' Eine Schwäche eingestehen zu können, zeugt von Stärke. Es ist vielleicht nicht ruhmvoll, aber doch eine Stärke. Akzeptiere ihre Kritik und ihren Unmut. Aber akzeptiere nicht, dass dich irgendwer fertig macht. Keiner hat das Recht dazu. So, das wars erstmal. Ein erstes Scheitern ist ein guter Motivator für einen zweiten Anlauf: 'Das passiert mir nie wieder!' Aber es ist keine Garantie! Darum: kneif dich! ,-) Procrastination ist keine Einzelerscheinung, sie ist zutiefst menschlich. Wir sind nur die Protagonisten, die die Symptome zuerst aufweisen. Und lösen dürfen. Vielleicht ist das ein Grund, ein bisschen stolz zu sein... So, genug gelabert. Jetzt bist du dran! Ich bin gespannt, ob dir etwas von dem weiterhilft... Liebe Grüsse, Oliver P.S. Übrigens, mit Monostatos hast du dir auch nicht den einfachsten Character aus der Zauberflöte ausgesucht... |
| monostatos Rank:member Group: members Posts: 2 IP Logged PM ID: 3210 [PM monostatos] | Posted at Mon Mar 23, 2009 15:36:36 Edit post|Quote Hallo Oliver! Schön, dass du geantwortet hast. Ich habe ein wenig darüber nachgedacht und das hat mir auch das Wochenende nicht so schwer vorkommen lassen. Die möglichen Gründe, die du angeführt hast, könnten alle grundsätzlich auch ursächlich für meinen Fall sein, ja. Das vermag ich aber (noch) nicht zu beurteilen, inwieweit es wirklich zutrifft. Ich glaube auch, dass ich das ohne professionelle Hilfe nicht schaffen werde. So wie das Problem an sich. Die Hilfskonzepte habe ich teilweise auch schon durch. Leider funktionieren sie bei mir nicht in dem Maße, als dass sie wirklich helfen würden. Da bin ich aber selbst mein größter Störfaktor, das weiß ich bereits. Ich habe mich mit der psychologischen Beratung meiner Uni in Verbindung gesetzt. Ich habe zwar erst im April ein „Vorstellungsgespräch“, aber ich erhoffe mir relativ viel davon. Ob ich da enttäuscht werde oder nicht, wird sich zeigen. Zurzeit hat sich meine Gefühlslage zwar stabilisiert, aber wohl eher im Schlechten. Ich sehe weder positive noch negative Dinge, für mich ist aktuell alles einfach nur da. Mein Studium ist da, die Arbeit ist nicht da, was soll’s? So in der Richtung. Wenigstens habe ich heute den ersten Schritt getan und meinen Betreuer informiert. Das war eigentlich ganz okay, deshalb werde ich gleich nachher weiter machen damit. Es erleichtert ungemein. Gut. Soweit erstmal das Neueste. ----------------------------- Gruß, Manuel |
Seite: 1 |