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Pilatus-Spiel

Ein nach einem römischen Statthalter in Judäa, Pontius Pilatus, benanntes Gesellschaftsspiel, was sich zur Zeit weltweit großer Beliebtheit erfreut. Die Ursprünge dieses Spiels gehen sicherlich weit vor die Zeit des Hände-waschenden Staatsmannes zurück.
Dieses Gesellschaftsspiel macht nur richtig Spaß, wenn man es mit möglichst vielen spielt. Wenn manche behaupten, man könne es auch gut zu zweit spielen, dann zeigen sie damit nur ihr Unverständnis in die Spielregeln und den Sinn des Spieles. Im Prinzip haben sie recht, zwei genügen, aber es macht dann etwa soviel Spaß wie "Schwarzer Peter" als Paarspiel. Genaugenommen könnte man es sogar alleine spielen, aber nur, wenn man über eine mehrfach gespaltene Persönlichkeit verfügt. Wir wollen uns auf keine Mindestteilnehmerzahl festlegen, aber es sollen möglichst viele sein und damit meinen wir Hunderte oder gar Tausende. Aber im Prinzip sind diese Fragen rein theoretischer Natur, denn im Gegensatz zu anderen Party- oder Gesellschaftsspielen finden sich beim Pilatus-Spiel die Teilnehmer nicht freiwillig zusammen. Jeder ist Teil eines Spieles, dass er sich nicht selbst oder wenn dann zwangsweise ausgesucht hat.

Am besten lernt man das Spiel, wenn man sich eine typische Partie im Detail anschaut. So kann man zum Beispiel in jeder guten Tageszeitung, den Ablauf von großen Partien, wie sie zur Zeit ständig z.B. bei  Banken und Versicherungen ablaufen, verfolgen. Die Berichterstattung über solche Spiele sucht man vergeblich im Sportteil einer Zeitung. Wegen ihrer ausserordentlich großen Beliebtheit in der Leserschaft, hat man sie meist auf den Frontseiten platziert. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass man dort nichts über die wahre Spielstrategie, also die Hinter- und Beweggründe, erfährt, denn niemand will durch unsportliche Offenlegungen den weiteren Spielverlauf stören.

Betrachten wir einmal einen typischen Spieler, einen ziemlich unten, aber noch auf der Gewinnerseite:
Nennen wir ihn Felix, denn das kommt vom Lateinischen und bedeutet soviel wie "der Glückliche". Also unser Felix ist ein kleiner Chef in einer großen Versicherung. Ihm unterstehen etwa fünfzig Leute. Felix ist ein aufmerksamer Leser der Tageszeitung und obwohl ihm noch nie der Name Pilatus-Spiel begegnet ist, kennt er sich dennoch mit den Regeln bestens aus. Allerdings ist ihm nicht bekannt, dass in seiner Firma gerade eine neue Runde begonnen hat.
Man möchte in Zukunft mehr die Leistung und die Leistungsträger belohnen, hatte ihm sein Chef verkündet, und deshalb wolle man sich ein genaues Bild über die Qualität der Human-Resources an der Basis machen. Guter Arbeitseinsatz solle sich wieder mehr lohnen, und er solle deshalb diejenigen seiner Abteilung benennen, ohne die ihre Firma nicht auskommt. Die Worte Ihres Vorstandsvorsitzenden, Dr. Liebegott, hat Felix noch im Ohr: "Das Human-Kapital muss effektiv eingesetzt werden, sonst läuft die Firma Gefahr von den Kosten überrollt zu werden." Allen Gerüchten trete er energisch entgegen, beschwichtige Dr. Liebegott vor laufender Kamera, niemand möchte, und schon gar nicht der Vorstand, dass jemand seinen Arbeitsplatz verliert. Dennoch müsse man sich Gedanken machen, wie man die erdrückend hohen Personalkosten senken könne. Während Felix seine Positivliste erstellt, denkt er flüchtig daran, auch wenn das nicht seine Aufgabe ist, ob die anderen, die nicht darauf erscheinen, irgendwelche Nachteile haben könnten. Einigen auf der Liste würde er es gönnen, um andere täte es ihm leid. Einmal nachts wachte er schweißgebadet nach einem Alptraum auf: Er sah seinem Chef über die Schulter, der gerade auch eine solche Liste erstellte. Vergeblich suchte Felix seinen Namen, aber Gott-sei-Dank war es nur ein böser Traum.

Felix' Chef  - so hoch auf der Erfolgsleiter, dass wir ihn hier nicht mit Vornamen sondern nur als "Herr N." bezeichnen wollen -  war wirklich an einer Liste aber entgegen seinem Alptraum stand Felix Namen bereits auf der Liste. Dennoch wäre dies kein Grund zur Freude für Felix, denn Herr N. hatte den Auftrag zwanzig Prozent seiner Untergebenen zu bestimmen, von denen man sich gütlich trennen wollte. Herrn N. hatte man beteuert, dass niemand gegen seinen Willen gehen würde. Allen würden großzügige Abfindungen angeboten, damit man sich in beiderseitigem Einverständnis trennen könnte. Nur diejenigen, die sich einer gütlichen Regelung widersetzten, müssten mit einer betrieblichen Kündigung rechnen. Die wären es dann ja auch selbst schuld, dachte Herr N. und stellte sich vor, dass Felix so einer sein könnte. Der könne es bestimmt nicht verstehen, dass die Firma ihn nicht mehr brauchte. Felix war jemand, der sich für unabkömmlich und unersetzlich hielt und identifizierte sich in nahezu krankhafter Weise mit der Firma, der er schon mehr als zwei Jahrzehnte angehörte. Felix war ein Romantiker, einer, der den Zeitgeist nicht begriff, einer der glaubte, dass eine Firma und ein Chef auch sozial denken musste. Spätestens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus musste es jedem klar sein, dass Firma sich rein auf die Profitmaximierung konzentrieren müssen. Nur maximale Gewinne der Unternehmen sicherten Wohlstand für alle, aber Felix der ewig gestrige würde das nie begreifen.

Herr N. wusste nichts davon, dass man im Aufsichtsrat schon darüber nachdachte, den ganzen Geschäftsbereich, dem er vorstand, in der nächsten Spielrunde aufzulösen. Die Arbeit, die in der Regel keinen Kundenkontakt erforderte,  würde man  in Zukunft vom Ausland aus erledigen.

Es gäbe noch viele andere interessante Mitspieler, über die es sich zu berichten lohnte, so z.B. Dr. Balkenbieg, Mathematiker und Assistent der Geschäftsleitung. Ein fähiger Kopf, der es schafft komplizierte Sachverhalte so zu abstrahieren, dass man in seinen Folien nur Balkendiagramme vorfand, auf denen keine hässlichen Begriffe wie "Personaleinsparungen" oder "Entlassungen" findet. Wie er dies macht, findet man unter Lügen bis sich die Balken biegen.

Aber einen Mitspieler wollen wir zum Schluss noch vorstellen. Jetzt werden Sie staunen, denn wir meinen Sie! Sie sind Teil des Ganzen, beispielsweise morgens bei der Lektüre der Zeitung. Sie sind entrüstet, ärgern sich über eine so große Unmenschlichkeit, über eine solche Geldgier, aber dann glauben Sie doch, was die Manager sagen. Deutschland sei keine Insel. Die Globalisierung lasse sich nicht aufhalten. Firmen, die sich  im internationalen Vergleich nicht straff aufstellten,  hätten keine Chance zu überleben. Abmagerungskur für die Wirtschaft! Ein paar Pfunde abwerfen, das kann doch nicht schädlich sein. Während Sie die Zeitung beiseite legen, um die letzten Reste des Frühstückseis auszulöffeln und den letzten Kaffee nachzuschenken, denken Sie kurz daran, dass hinter jedem Pfund menschliche Schicksale stehen, und dass man einige mit dieser "Kur" in den Ruin treibt. Aber dann nehmen Sie wieder die Zeitung und lesen, dass selbst bei Harz IV, die meisten noch besser dastehen als solche die hart arbeiten. Wer arbeiten will kann arbeiten, man müsse nur fexibel sein. Man müsse nur die Arbeitslosen dazu zwingen Arbeit anzunehmen. Sie freuen sich über die Botschaften, denn für sie heißt es, dass Sie nichts zu befürchten haben, denn Sie sind fleißig und verfügen über ein großes Know-How. Nur die Faulen und die Unfähigen sind bedroht.

© Bernard Bychan, June 2006