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Abschnitt 49


ERRARE INHUMANUM EST! Begriffe wie `menschlich' oder `unmenschlich' gehören jedoch nicht zu Mingers Repertoire. Seine Arbeit sei seriöse Betriebswirtschaft, also wissenschaftliche Arbeit. Moralisieren sei Sache der Theologen oder Philosophen. Aber `Irren ist unmenschlich' sei der gemeinsame Nenner auf den seine Veröffentlichungen gebracht werden können, höhnen seine Kritiker. Das versteckte Leitmotiv der in Wirtschaftskreisen so hochgelobten Idee von Professor Larry D. Minger. Am meisten ärgerte Minger, daß er diese plakative Formel zu Beginn seiner Karriere selbst geprägt hatte. Dann hatte er sie jedoch schnell wieder fallenlassen, als er merkte, daß man ihn damit zum Menschenfeind abstempelte.

Aber was ihn am meisten an solchen Vereinfachungen störte, war, daß damit sein doch so beachtliches Lehrwerk, seine neun Bücher -- fast alle bei namhaften Verlagen publiziert -- und weit über hundert sonstige Veröffentlichungen -- der Löwenanteil in renomierten Blättern -- auf drei Wörter, auf einen Satz zusammenschrumpfte. Auch wenn seine Kunden Vereinfachungen liebten, ja sogar wünschten, -- denn welche Führungskraft hatte schon die Zeit ein 500 Seiten starkes Buch durchzuarbeiten, -- `ERRARE INHUMANUM EST' ging eindeutig zu weit. Bunte Diagramme und und raffinierte Grafiken mußten bei seiner Klientel den Eindruck erwecken, etwas Schwieriges verstanden zu haben, aber sie mußten auch deutlich spüren, daß dahinter ein mächtige Theorie schlummerte. Vor allem viel Mathematik, mehr als sie mit ihrem Managerdreisatz bewältigen können. Die schiere Fülle und der beeindruckende Umfang seines Werkes waren es, was die Wirtschaftsbosse am meisten beeindruckte. Unabdingbare Vorbedingung um sie willens zu machen, wie er aus seiner langjährigen Erfahrung im internationalen Markt wußte, seine Dienste zu kaufen und die von ihm verlangten Preise zu zahlen. Stolze Preise, Höchstpreise in dieser Branche, und auch das hatte er gelernt, Spitzenpreise waren ein Qualitätsmerkmal für seine Kunden: Was zu billig war, oder gar kostenlos zu haben war, konnte nichts taugen, schied sofort aus dem betrieblichen Kalkül.

Daß Menschen gewissermaßen als Perfektionisten geboren werden, ist eines der Axiome, um die er seine einkommensträchtige Kunst geknüpft hat. Die Fehlertoleranz gegenüber sich selbst und anderen sei nicht inhärent, sondern werde systematisch anerzogen. Im Elternhaus würden schon die Grundsteine gelegt. Eltern akzeptierten Fehler, um es ihren Kindern und vor allem sich selbst leichter zu machen. Sie kaschierten damit eigene Erziehungsmängel, also Fehler. Eine uralte Erziehungspaxis, wie man ja an dem lateinischen Spruch ërrare humanum estßehen könne. Fehler sind menschlich, ein probates Mittel, aber laut Larry D. Minger wurde nie hinterfragt, welche Schäden diese Geisteshaltung über die Jahrhunderte, ja Jahrtausende, bereitet hätten. Aber in der Zeit des globalen Wettbewerbes könne man sich solche antiquierten Charakterhaltungen nicht mehr leisten.

Menschen machen Fehler willentlich, und meist nur dann, wenn es sich um Dinge handelt, denen sie eine untergeordnete Bedeutung beimessen. Man solle sich doch nur mal anschauen, wie sich Menschen verhielten, wenn es um ihren eigenen Geldbeutel ging, sagte Minger häufig, und meist unter dem zustimmenden Schmunzeln seiner unter der allgemeinen menschlichen Fehlbarkeit leidenden Manager. Sie lachen auf schweren Ledersesseln sitzend, in feudalen Konferenzräumen von Nobelhotels, auf den Tischen Kaffee, Plätzen und meist auch ein reichhaltiges Angebot an Fruchtsäften. Kein Alkohol, morgens lechzen sie danach, nach dem Essen, -- oder besser Lunch, wie es in ihrem ,,Germanish'' heißt -- ist der Pegel eh hoch genug und abends geht es ja eh weiter. Wenn es ums eigene Geld ginge, machten sie keine Fehler, da paßten sie gut auf und sein beschlipstes Auditorium lacht verständnisvoll, und vergessen all die Menschen, die von Kredithaien ins Bodenlose gestürzt wurden und werden, oder ihr Gespartes an Betrüger verlieren. Privat wird aufgepaßt, daß man nicht unnötig Geld ausgibt, aber in den Betrieben seien sie unverantwortlich nachsichtig. Alle sind sich einig, wie wichtig es ist, diese Tagung gerade in diesem dem teuersten Hotel der Stadt abzuhalten, denn nur hier war eine konstruktive und fruchtbare Zusammenarbeit gewährleistet. Ein paar Tage Urlaub mit der Familie könnte jeder von ihnen machen für das Geld, das die Firma pro Tag für jeden zahlen muß. Selten muckt einer Zuhörer auf, oder versucht seine unzulässigen und meist auch falschen Verallgemeinerungen zu entlarven, aber Minger der begabte Rethoriker beherrscht fast jedes Publikum. Selbst fadenscheinigste Argumente erscheinen in seinen Reden als billiannte Feuerwerke eines großen Geistes. Sie glauben ihm auch, wenn er behauptet Menschen machen keine Fehler beim Klettern im Hochgebirge, beim Drachenfliegen oder beim Fallschschirmspringen. Aber bei der Arbeit, da nähme man es nicht so genau, da verhielte man sich schlampig und hoffte auf Verständnis. So hielt er die Manager auf seiner Seite. Dann war meist der Rest ihrer Kritikfähigkeit gewichen und sie waren willens seine Strategie zur Vermeidung von Fehlern zu kaufen. Gerade die besonders Selbstherrlichen, die die überzeugt waren, nur durch ihr fehlerloses und geniales Wirken so hochgekommen zu sein, verstanden Mingers Argumente am besten.

Drei Buchstaben verkaufte er ihnen: EAS, Akronym für Error Avoidance Strategy und sie verpflichteten sich tausende von Mark pro Seminarteilnehmer zu zahlen, ohne die Kosten für An- und Abreise der Mitarbeiter, sowie Unterbringungskosten. Große Kunden erhielten sogar ein sogenanntes Onsite Training und einen großzügugen Rabatt auf zuvor erhöhte Preise.

Inhumanum. Kein Schreckenswort für Leute, die gewohnt sind in Abstrakta zu denken. Nicht mit Detailkram abgeben, nie an den einzelnen Arbeiter oder Angestellten denken, bekamen sie eingetrichtert. Menschen werden neben Maschinen, Roh- und Hilfsstoffen zu weiteren Ressourcen, ein wesentlicher Schritt zur Entmenschlichung. Abstrahierung und Loslösung vom Menschlichen, Personifizierung von abstrakten Einheiten. Ist es denn etwa schlimm schlank zu werden? Schlank zu sein. Schlanker Vertrieb, Schlanker Einkauf. Zu fett, zu hohe Kosten, zu viel Personal. Personal. Menschen als Resourcen. Abbau.



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