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Abschnitt 46


Sommerlich warm, nein heiß, damals, aber morgens Gänsehaut. Zu heiß für die Jahreszeit, wie es der Wetterbericht formuliert hatte, erst Ende Mai war es gewesen. Die richtige Temperatur für ihr pinkfarbenes Minikleid, hatte sie gedacht am Morgen des offiziellen Rückgabetermins für Felix; die letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen wegen diesem Termin und wohl auch wegen dem Vollmond. Rasende Regenwolken, hier und da ein Stück blauer Himmel. Düster war es. Hatte sie nicht erwartet gehabt, nicht nach dem, was der Wetterbericht vorgesagt hatte. Sonst hätte sie doch andere Kleider gewählt gehabt. Naja, in der Bibliothek würde es ja eh stickig warm, und dann würde sie froh mit dem kurzen Kleid sein, und außerdem war es ja auch hübsch anzuschauen. Heute müßte er doch bestimmt kommen, wenn er keine Mahnung riskieren wollte. Ihr Herz galoppierte, und ihr Magen verkrampfte sich. Kaum gefrühstückt. Sie hatte nichts essen können, wie immer, wenn sie zu aufgeregt war.

Kalter kackbrauner Kunstledersitz und ihre nackte Haut zuckte zusammen beim Niederlassen; eine Gänsehaut überzog ihren fröstelnden Körper, damals im Bus auf dem Weg zur Arbeit in der Unibibliothek. Mühlenstraße, Haltestestelle vor den drei Studentenwohnheimen, dort füllte sich der Bus immer, nacher fast keine Stehplätze mehr. Tag für Tag hatte sie gehofft, daß er dort vielleicht einsteigen könnte, aber immer vergeblich. Warum sollte er gerade an diesem Tag im Pulk der Wartenden sein? Aber sie reckte sich dennoch, um schon beim Heranfahren die Gruppe der Wartenden besser beobachten zu können. Entsetzt nimmt die grauhaarige alte Frau neben ihr ihre Handtasche auf den Schoß, die Vera bei ihren Verenkungen berührt hatte. ,,Entschuldigung!'', murmelt Vera. ,,Macht nicht!'', entgegnet die Alte und kontrolliert dennoch den Inhalt, Geldbeutel, Minialbum mit Fotos von Kindern und Enkelkindern, Medizin und zahlreichen anderen Utensilien.

Das ist er doch! Sie schenkt ihm ihr schönstes, ihr einladenstes Lächeln, und ihre Augen signalisieren ihm dorthin gelenkte Blicke, daß die Sitzbank gegenüber ihr noch frei ist. Nun war sie froh, zuerst hatte sie sich geärgert, daß die alte Frau ihren dicken Hintern neben sie hatte quetschen müssen, statt ihr gegenüber Platz zu nehmen. Wenn sich bloß nicht sonst jemand vor ihm dort hinsetzte.

Ihre Befürchtungen waren vergebens. Er nahm gegenüber ihr Platz, ebenso wie sein übergewichtiger Begleiter. Aber sie war entsetzt, wie konnte ihr das nur passieren. Eine fürchterlich Verwechlung! Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Das war nicht Felix, und was sie am meisten beschämte war, das das Objekt ihrer Verwechslung keinerlei Ähnlichkeit mit Felix hatte. Und sie erschrak, weil sie sich wiedermals nicht mehr vorstellen konnte, wie Felix aussah. Ein Mann ohne Gesicht, und sie war vernarrt in ihn, lächerlich kam ihr das vor. Wie geht das eigentlich mit den Phantombildern bei der Polizei, wunderte sie sich, denn sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie denen helfen könnte. Allgemein, nicht nur bei Felix. Sie könnte ihn doch überhaupt nicht beschreiben, aber Felix war ja kein Verbrecher, und Liebhaber wurden ja nicht polizeilich gesuchte, schade, hatte sie gedacht.

Sie wagte nicht mehr in ihre Richtung zu schauen, aber trotzdem glaubte sie deren dreistes und unverschämtes Grinsen zu sehen. Vor allem der, den sie für Felix gehalten hatte, vermaß mit seinen Blicken ständig ihren Busen. Offen und unverholen, nicht wie sonst die Männer. Verstohlen lugen andere, und zucken zusammen, wenn Vera sie plötzlich und unerwartet anschaut, dann lassen viele ihre Blicke dann wild umherkreisen, das es so scheint, als seien sie nur zufällig auf ihren Beinen gelandet, oder defokussieren ihre Augen, so als seinen sie in Gedanken versunken. Manchmal machte sie sich einen Spaß daraus, so zu tun, als nehme sie ihre Umgebung nicht war, um dann plötzlich ein Opfer in Verlegenheit zu bringen. Aber dieser Rohling war ihr unangenehm. Durch ihr Lächeln und das Leitfeuer ihrer Augen bei seinem Eintritt fühlte er sich legitimiert und starrte ungeniert und lüstern auf ihre Beine, und ihre Gänsehaut wollte nicht mehr weichen.

--,,Find' ich geil, daß du uns ein Plätzchen freigehalten hast!'', sagte ihr Nicht-Felix.

Einfach nur ignoieren. Was, wenn Felix auch so ein Primitivling ist, dachte sie schaudernd. Außer seinem Namen und seiner Adresse, die sie der Kartei entnommen hatte, wußte sie rein gar nichts von ihm. Gegrüßt hatte er sie, und gefragt, ob er die Bücher auf seinem Zettel ausleihen könnte. Seine Stimme war wohlklingend, aber würde sie sie leichter wiedererkennen als sein Gesicht.

--,,Wie gefällt uns denn das: erst uns einladen, und dann nicht mit uns reden wollten!'', sagte ihre Nicht-Felix zu seinem mittlerweile etwas verlegen dreinschauenden Freund.

Das sowas überhaupt studieren durfte, wunderte sie sich. Abitur alleine sagt halt noch nichts! Bestimmt waren das irgendwelche Knöpfchendrücker, so hatte sie Jan immer genannt. Jan mochte die ganzen Naturwissenschaftler nicht. Ungeschlacht und primitiv seien die, so hatte er doch immer gesagt. Jan war ja selbst ein großer Arschloch -- anders konnte sie ihn doch nicht bezeichnen -- aber damit hatte er doch recht. Die Juristen und Betriebswirte waren doch ganz anders. Da hat man immer das Gefhühl, daß sie wissen worauf es ankommt im Leben. Felix war auf jeden Fall Betriebswirt, soviel wußte sie von seiner Kartei.

Nur weg von diesen schrecklichen Typen. Nachts hätte sie jetzt Angst. Wer weiß was in dem Typ jetzt vorgeht. Regen. Der Wetterbericht hatte wirklich voll daneben gelegen. Oh Gott, wie würde sie jetzt aussehen.

--,,Sag' mal, du siehst ja aus, als hättest du die Nacht durchgemacht!'', begrüßt Simone Vera.

Schrecklich, ja, sie hatte recht. Deshalb war es ja, weshalb sie mittlerweile fürchtete, daß er an diesem Tag kommen könnte, aber gleichzeitig hoffte sie es dennoch. Letzter Tag, morgen müßte er sich melden, ansonsten, wäre eine Mahngebühr fällig, diesr Gedanke war ihr noch vorm Einschlafen am Tag zuvor gekommen, und hatte sie sofort unruhig werden lassen. Sofort hatte sie begonnen, eine mögliche Begegnung durchzuspielen. Zum x-ten Male, Fragen und Antworten. Sollte sie so tun, als kenne sie ihn nicht, ihn behandeln wie andere auch, freundlicher sein, ja natürlich, und dann `Soll ich Ihnen einen neuen Ausweis ', nein nicht so zaghaft, dann würde er vielleicht nein sagen, also, `Sie brauchen, dringend einen neuen Ausweis! Haben sie den mal mitgewaschen!' Würde das nicht zu vorwurfsvoll klingen.

Dann plötzlich hatte das Telefon gerappelt.

--,,Dann müssen sie hier vorbeikommen -- ja, auch wenn sie ihre Bücher nur verlängern wollen -- ich habe die Regeln nicht gemacht -- Krank? -- Kann nicht jemand für sie? -- Ausnahmsweise, also: NAME -- Ihre Nummer -- ihre Benutzernummer -- also Herr Schmied: VIER Wochen, eine weitere Verlängerung ist dann nicht mehr möglich -- wiederhören!''



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