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Abschnitt 30


Zum ersten Mal hatte Felix Wiedenkamps schier grenzenlose Verachtung und Aversion für Malter bei einem dieser Malterschen Routinebesprechungen erahnt. Meetings, wie Malter sie zu nennen pflegt, denn er war ja stolz drauf, auch Businesskauderwelsch zu beherrschen. AER-Meeting, wöchentlich mindestens einmal, bei Bedarf, und den stellte Malter im allgemeinen fest, auch öfters. Eine Darbietung vor großem Kreis, nicht immer die gleichen, aber Felix war immer dabei, durfte sich immer langweilen. In seiner Rolle als `kritischer Beobachter' war er der Einzige neben dem Einladenden, der sich in all diesen Zusammenkünften mit vielen wechselnden Teilnehmern langweilen durfte.

Bei dem AER-Projekt handelte es sich nicht nur um ein völlig neues Projekt, sondern auch um ein ganz neues Geschäftsfeld. Es ging um die automatische Erkennung von Röntgenaufnahmen. Braggards Wunsch war es gewesen, daß Felix dieses Projekt unter der Leitung von Herrn Dr. Malter von Anfang begleiten sollte. Seine Rolle sollte die eines kritischen Beobachters sein. Da er noch frisch sei, also noch gewissermaßen unverdorben, könne er am ehesten sinnlose oder schädliche Abläufe erkennen, vor allem mit seinen Erfahrungen. Die so gewonnenen Erkenntnisse flößen dann als Input in den TQM-Prozeß. Ausdrücklich hatte Herr Braggard aber ihn dann noch darauf hingewiesen, eigentlich war es schon fast eine Warnung gewesen, daß es keinesfalls darum ginge Dr. Malter zu kontrollieren.

--,,Sie müssen wissen: Bei Herrn Dr. Malter handelt es sich zweifelsohne, gewissermaßen ein Binsenweißheit, um einen unserer bewährtesten und kundigsten Projektleiter. Ein erfahrener Haudegen! Also nochmals: Es geht nicht darum, ihn in irgendeiner Weise zu überwachen, sondern, wie ich ihnen ja schon erläutert habe ... '', schraubte Braggard seinen Gedanken weiter in einem schon längst zerborstenen Gewinde.

Durch sein freundliches Wesen -- Wiedenkamp und sicherlich nicht nur er bezeichnete es als schleimig -- war er ein gern gesehener Gast in vielen Besprechungen, und er hatte es im Laufe der Jahre geschafft, daß er fast seine gesamte Zeit in Besprechungen verbringen durfte, und damit jedweder Gefahr, an seinem Schreibtisch doch etwas produktiv arbeiten zu müssen entging. Die Spreu vom Weizen zu trennen, denn nicht jede Besprechung war seiner würdig, Terminüberschneidungen meistern, Pflege des Terminkalenders, das waren seine täglichen Verrichtungen am Schreibtisch. Und ein Mann, der in sovielen Besprechungen anwesend war, auch selbst zahlreiche wichtige Leute einlud und der auf keinem Verteiler von Protokollen fehlte, mußte doch auch wichtig sein. Dieser Logik konnten sich nur wenige entziehen, und vor allem er selbst war ihr verfallen.

Am Anfang hatte Felix es recht interessant gefunden an diesen Besprechungen teilzunehmen, denn die Firma und ihre Abläufe waren neu für ihn, und er lernte dabei auch eine Menge Leute kennen. Montags um zehn wurden die technischen Aspekte des AER-Projektes besprochen. Zusammenkunft der Spezialisten: die fürs A, für die Automatisierung, die fürs E, für die Erkennung der Bilder, und die fürs R, die um die medizinischen Zusammenhänge wußten, die wußten, wie eine Röntgenaufnahme zu interpretieren ist. So die ursprüngliche Idee, aber der einzige wirkliche Spezialist war wohl Dr. Wiedenkamp. Aber der nahm nur widerwillig teil, denn er jammerte immer über die verlorene Zeit. Beklagte, daß außer ihm keine anderen algorithmisch am Projekt arbeitenden Mitarbeiter anwesend seien, und damit alles eh eine Farce sei. Aber Dr. Malter ließ diese Kritik immer kunstvoll an sich abprallen und sorgte mit endlosen und zu nichts führenden Monologen dafür, daß die angesetzten zwei Stunden nie unterschritten wurden, egal, ob die geeigneten Experten anwesend sind, oder ob es überhaupt etwas zu bereden gab.

--,,Lassen sie mich kurz die Ergebnisse der letzten Woche zusammenfassen ...''

Mit diesen Worten leitet Dr. Malter jede Besprechung ein. Wie ein Gewitter, wie einen Hagelschauer, muß man es über sich ergehen lassen `Oh nein, nicht schon wieder!', steht dann in den Gesichtern der Anwesenden, aber Malter weiß es nicht zu deuten, oder will es nicht. Mindestens die erste halbe Stunde muß dafür herhalten, die Langeweile der vorherigen Woche wieder zu reproduzieren, und es nützt auch nichts, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß eh alles auf seiner mustergültig ausgearbeiteten Notiz allen zugänglich sei, wie es Dr. Wiedenkamp immer wieder versucht.

Trotz alledem hatte Felix Dr. Wiedenkamp nie ausfallend erlebt, wenn auch schon mal ironisch oder sarkastisch. Aber dann diskutierten sie eines Tages, völlig unerwartet, die Fortschritte bei dem laufenden Businness Reengineering Prozesses. Warum hatte er überhaupt seine Folien ausgepackt, die er zufällig bei sich gehabt hatte, fragte sich Felix später? Außerdem hatte er sich bei seinen Erläuterungen zu sehr auf Dr. Malter konzentriert und hatte dabei die anderen Anwesenden, vor allem Dr. Wiedenkamp, nicht im Visier. Er hatte nicht gemerkt, wie Dr. Wiedenkamp zusehends unruhiger wurde, wie sich langsam sein Gesicht allmählich vor Zorn rötete.

Auch Dr. Malter wirkte entsetzt. Mit bester Laune hatte er an diesem Montag morgen seine erste Besprechung für diesen Tag und auch für die Woche begonnen. Bestens vorbereitet: Um 7.15 hatte er begonnen, wie immer, denn er legte schon seit Jahrzehnten Wert darauf zwischen 7.10 und 7.20 Uhr seinen Tag zu beginnen. Bis 7.45 trank er, wie üblich, seine zwei Kaffeen Kaffee, unbehelligt, wie meistens, von irgendwelchen Anrufern. Und zum Kaffe gehörte wie immer die Tageszeitung, aber die vom Vortag, denn die jeweils Neue überläßt er seiner Frau, denn eine weitere oder auch andere wäre zu teuer. Pünktlich gegen 7.50 Uhr hat der Kaffee dann seinen Dickdarm aktiviert und fast genau zehn Minuten später verläßt er stolz die Toilette, den stinkenden Beweis seines erstes Tageswerkes hinterlassend. Dann folgt die intensive Vorbereitung auf die bevorstehende Sitzung: Liebevolles durchwühlen von Aktenordnern, einfach so, um zu sehen, ob noch alles an seinem gewohnten Platz ist, zum x-ten Male durchkämmt er die Notiz der letzten Besprechung und immer wieder schließt er zur besseren Konzentration seine Augen.

Und an diesem bestens gelaunten Dr. Malter, der ihm allen Anschein nach begeistert zuhörte, orientierte sich Felix. Er wonnte sich in Malters Schmeicheleien, die er doch inflationär an alle verteilte, die ihm nützlich sein könnten, seine Stellung zu halten oder auszubauen. Aber so weit hatte er ihn damals noch nicht durchschaut gehabt, als er die Gestaltung seiner Folien mit seinem bewährten ,,Das ist ja wunderbar! Ganz prima!'' überschüttete. Endlich jemand der seine Arbeit anerkannte, dachte Felix. Die Folien, die er teilweise sogar Abends und am Wochenende angefertigt hatte.

,,Du hast keine Zeit mehr für uns! Immer nur deine blöde Firma!'', hatte Vera immer wieder gejammert.

Oder am Strand in der Toskana mit Vera, Vanessa, Markus und seinem Laptop.

--,,Wenn du morgen nicht diesen verdammten Kasten im Hotelzimmer läßt, dann fahr ich sofort heim. Das ist doch kein Urlaub!''

Die an diesem Tag herrschende Hitze hatte den Krach ausgebrütet, da war er sich im Nachhinein sicher. Selbst am Strand, wo sonst immer ein kühlender Wind ging, auch wenn es im Landesinnern windstill zu sein schien, gab es keinen Hauch. Im Meer war es erträglich, aber kaum war man zurück auf den Strandmatten, triefte der Schweiß wieder.

--,,Ich habe ihnen ständig gesagt, daß sie keinen Sand schmeißen sollen, und jetzt habe ich eine ganze Schaufel voll abgekriegt.''

--,,Na und, ist das schlimm. Du bist doch eh in der Badehose!''

--,,Verdammt noch mal! Es geht doch gar nicht um mich! Der LAPTOP! Dort geht alles rein! Weißt du eigentlich, was dieser Laptop gekostet hat? ... ''

--,,Warum mußt du denn den Kasten auch an den Strand mitschleppen!'', und dann fügt sie hinzu, als Markus sich heulend an sie kuschelt: ,,Markus hat es nicht gern gemacht!''

--,,Doch hat er!'', trotzte Felix.

--,,Wenn du dich um ihn gekümmert hättest, hätte er das bestimmt nicht getan. Das ist seine Art dir zu sagen, daß du mit ihm spielen sollst ... ''

--,,Ein ganz schön teure Art, wenn es jetzt kaputt ist ... ''

--,,Hoffentlich!'', schrie Vera im Licht der gleißenden Sonne.

Dr. Malters strahlendes Gesicht hatte ausgeharrt, bis Felix vom Strand zurückgekehrt war.

--,,Ich finde das ganz prima, wie sie die Farben eingesetzt haben. Man sieht automatisch das Wesentliche. Und grafisch ist alles auch ganz wunderbar! Wirklich prima!'', lobte ihn Dr. Malter, während Dr. Wiedenkamp sein Gesicht in seine offenen Hände legte.

Durch sein Lächeln und sein zustimmendes Nicken gab er Felix zu verstehen, daß sein Vortrag ankam und auf Interesse stieß. Die anderen Anwesenden, außer Dr. Wiedenkamp, wirkten eher gelangweilt, so als warteten sie nur aufs Ende, um wieder zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Dr. Malter war begeistert, als er die Folie mit den drei E's auflegte: ,,Effizienz und Effektivität durch Engagement''. Das sei aber wirklich eine super Idee, hatte er ausgerufen, als er den engagierten Muskelmann mit den Worten ,,Effizienz'' und ,,Effektivität'' in den Oberarmen gesehen hatte. Dr. Wiedenkamp abschätzig von großen Worten sprach. Die ganze Zeit über hatte Dr. Wiedenkamp bissige Bemerkungen von sich gegeben. Als Felix gesagt hatte, daß sich die neue Entwicklungsinitiative, eingebettet in TQM, nahtlos und konsequent an die bereits durchgeführten Verbesserungsprozesse anschließe, hatte er gelacht, sarkastisch, im Gegensatz zu Dr. Malters ,,Das ist ja sehr schön!''. Die Organisation und damit auch die Entwicklungsprozesse seien schon entscheidend verbessert worden, hatte Felix gesagt.

--,,Und die Zahl der Chefs nahezu verdoppelt worden, eine neue Hierarchiestufe, die so unnötig wie ein Kropf ist, und vor allem gibt es nun noch weniger Leute, die die eigentlich anstehenden Arbeiten machen wollen oder können! Prima Verbesserung!'', kommentierte Dr. Wiedenkamp und andere lächelten.

Er verstehe das überhaupt nicht, denn in seinem Bereich habe es wirklich eine deutliche Verbesserung gegeben, ereiferte sich Dr. Malter

Auf Wiedenkamps harsche Frage, wie sich diese denn zeige, antortete er nur, daß man dies so im Einzelnen nicht sagen könne, aber es wäre deutlich.

Zum Eklat kam es dann aber erst später, als Felix zum Thema Entwicklungstools wechselte. Dr. Wiedenkamp beißender Sarkasmus verwandelte sich durch eine weitere Folie in einen unkontrollierten Zornesausbruch. Ein Expertenteam sei zu der Entscheidung gekommen, daß CONLAB nun allgemein in der Entwicklung eingeführt werden müsse, hatte Felix in Richtung des strahlenden Dr. Malters verkündet. Nur so könne gewährleistet werden, daß sie für die Aufgaben der Zukunft gewappnet seien, aber Felix war in diesem Augenblick nicht gegen Dr. Wiedenkamp gewappnet.

--,,Welche Experten?''

--,,Ich kann ihnen da jetzt nicht sagen, wer da im einzelnen ... aber es war sichergestellt, daß alle wesentlichen Bereiche der Entwicklung vertreten ... ''

--,,Von uns aber keiner ... und wir sind doch nacher eigentlich die, die hauptsächlich damit arbeiten müssen ... ''

--,,Nein, nein, auch ihre Abteilung war vertreten ... Herr Dr. Malter war immer anwesend!'', sagte Felix.

--,,Und du hast denen nicht gesagt, daß mein KoKa die Funktionalität von CONLAB abdeckt, ja sogar übersteigt!'', wandte er sich direkt an Wiedenkamp.

--,,Ich wußte ja nicht, daß es schon läuft ... ''

--,,Ja sag' mal Wolfgang, hast du damals gepennt, als ich die Vorführung gemacht habe. Wenn ich mich recht erinnere, standest du doch damals direkt neben mir und hast doch alles so toll gefunden! ... Das ist ja wunderbar, hast du ... ''

--,,Ja aber ich wußte nicht, daß das genau das gleiche ist wie CONLAB!''

--,,Und du bist sicher, das du nun weißt, was CONLAB tut? Herr Schmied sagte doch gerade, daß du als unser Experte beteiligt warst'', sagte Wiedenkamp, und man spürte seine tiefe Verachtung.

Felix hatte eigentlich nur helfen wollen. Die Wogen glätten, war seine Absicht gewesen, stattdessen hatte er Benzin ins Feuer geschüttet. Er hätte nicht sagen dürfen, daß es sich bei CONLAB um ein professionelles Tool handele, was schon weltweit viele Millionen Anwender gefunden habe.

--,,Professionelles Tool, soso ... und was habe ich gemacht? Diletantismus? ... Wissen sie eigentlich, daß diese Dilettanten ein Programm ausgewählt haben, welches auf etwa der Hälfte unserer Rechner überhaupt nicht lauffähig ist, während CONLAB ... ''

--,,Also Herr Dr. Wiedenkamp, ich bitte sie, doch sachlich zu bleiben ... Dilettanten geht doch wohl zu weit ''

Mit den Dilettanten hatte er auch ihn gemeint, daß war Felix plötzlich klar, als er sah, wie er ihn anschaute. Wutentbrannt hatte er dann den Raum verlassen mit der Bemerkung, daß sein Rat eh nicht gefragt wäre. Dr. Malter entschuldigte sich auch, da er leider zu der nächsten Besprechung müßte. Wiedenkamp verachtete ihn, wie er viele in der Firma verachtete, daß war Felix plötzlich klar geworden, aber er haßte Dr. Malter abgrundtief, und Felix konnte nicht verstehen warum.



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